Aschenbrenner Media
Mir ist manches wurscht. Etwa, ob Bayer Leverkusens brandneuer Ball-Bube Ballack die berühmte Binde trägt oder der Bayern-Bursche Lahm.
Aber schon lange ist mir meine Wurscht nicht mehr wurscht. Mindestens seit 15. Oktober 1990, meinem ersten Tag hier im rustikalen Residenzstädtchen. Da verschlug es mich Schreiber-Frischling nach kurzem Gastspiel aus dem Eichsfeld in die Hauptstadt der Genüsse, der verwursteten.
Nicht, dass etwa die Eichsfelder Stracke nicht gemundet hätte! Ich meine, mich aber zu erinnern, dass ich schon am ersten Tag in Diensten der TA nahe des Rathauses etwas (Außer-)Ordentliches zwischen den Zähne kriegte.
Während – ebenfalls an einem Oktobertag! – Jahrzehnte zuvor die einen, von revolutionärem Enthusiasmus getrieben, ins Winterpalais stürmten, stürmte ich aus einem solchen hinaus. Die in Petrograd damals, die traten an, die Welt von den Ausbeutern befreien. Mich hingegen trieben nur niedere Instinkte. Ich hatte Knast, wollte nur meinen knurrenden Magen befrieden.
Hunger ist heutzutage beim Wochenend-Einkauf der denkbar schlechteste Berater. Damals, an jenem goldenen Oktobertag, verleitete er mich auch. Ich erlag erst dem Duft eines Grills. Und dann der Wurst.
Das war sozusagen eine Heldentat für mich, meinen Geschmack und in meinen Augen – wegen meines Migrations-Hintergrundes. Als gebürtiger Rand-Berliner* favorisierte ich bis dahin „Bockwurscht“. Mein BoWu-Wahn hatte durch jahrelange Verbannung in der Oberlausitz zusätzlichen Auftrieb bekommen. Die Eltern kannten nämlich kein Erbarmen und legten wohl jedes zweite Wochenende Feuer und dann Hand an graue Vierkant-Etwas an, die zuvor als „Bratwurst“ über die Bernsdorfer Fleischer-Theken gingen.
Erst später, während meiner Studentenzeit in Klein-Paris, der Perle Sachsens, in Leipzig, erfuhr ich, dass dieses viereckige weißgrauen Grauen keine spezielle Lausitzer Entgleisung war …
Wie dem auch sei: An jenem Oktobertag 1990 aß ich die Bratwurst. Und genoss sie. Bin seither ein ganz großer Fan dieser Thüringer Spezialität. Einmal auf den Geschmack gekommen, entdeckte ich nach und nach auch die anderen wunderbaren Wurstigkeiten, die das Leben im „grünen Herz“ so geschmackvoll wie großartig machten.
Das hindert mich indes aber nicht, hinter die Geheimnisse anderer regionaler Küchen kommen zu wollen. Dabei kenne ich fast keine Schmerz- oder Geschmacksgrenze. Meist will ich auch erst hinterher wissen, was ich vorher verspeiste …
Vor einigen Wochen stippvisitierte ich mit meinem Weibe das wunderbare Städtchen Plzeň in der Tschechischen Republik, knappe vier Stunden und 400 km südöstlich von hier. Das hatte im Wesentlichen nur einen Grund: Die Gemahlin ist aus der (weiblichen) Art geschlagen und bekennende Biertrinkerin.
Insofern war der Kurz-Trip ins Dorado der Brau-Meister meine Referenz an sie, von der ich erwartete, dass sie von mir einen gewissen Masochismus abverlangen würde. Doch selbst mir als anerkannten Rotwein-Abhängigen mundeten vom ersten Schluck an die vier (oder waren es fünf?) Sorten des dort gebrauten Bieres – zumal für einen Halbliter goldgelber kühler Köstlichkeit jenes Plzeňer Pilsners umgerechnet nur ein Euro fällig wurde. Außerdem gab es – glücklicherweise! – aller Orten Deftiges zu Beißen.
Auch am zweiten und letzten Abend stand mir der Sinn immer noch nach „houskový knedlík“ – den unnachahmlichen Semmelknödeln. Doch ich entdeckte dann „Gothajský salam“ auf der Karte einer dieser Eckkneipen, bestellte diese Speise …
Um es kurz zu machen: Liebe Tschechen, wenn Ihr auch fürderhin in Frieden mit uns Gothaern leben wollt, nennt dieses Gemengsel aus Wurstscheiben, Essig, massenhaft Zwiebeln und Knoblauch nicht länger „Gothajský salam“. Selbst Andrew Lawrence Roberts – als Engländer mithin Angehöriger eines Volksstammes, dessen Kochkünste eher gering geschätzt werden –; also: Selbst jener Mister Roberts warnte in seinem 2005 erschienenen Log-Buch für Tschechien-Reisende „From Good King Wenceslas to the Good Soldier Švejk“ ausdrücklich vor „Gothajský salam“. Sie sei das Billigste, gemacht aus dem Abfällen vom Schwein.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass vielleicht die hiesige Fleischer-Innung mit ihrem Obermeister Hartmut Kallensee eine gewisse „Entwicklungshilfe“ bei unserem östlichen Nachbarn leisten könnte, damit der Ruf Gothaer Wurst nicht länger beschädigt wird …
Ach so; der Verriss Roberts der „Gothajský salam“ stand übrigens direkt vor dem Beitrag über Karel Gott …
(Kolumne in der Juli-Ausgabe vom „Oscar am Freitag“, Gotha)
01.08.2010
ahahaha kann man diesen Führer des Herrn Roberts denn irgendwo einsehen? Internettechnisch meine ich… ausserdem: als Angehörige der Facebookgeneration habe ich vergebens das Feld „Like it“ unter dem Artikel gesucht 😉
02.08.2010
„like it“-Button – hm, braucht man (noch) html- und php-Kenntnisse, die mir fehlen. Kannst doch aber auf der Facebook-Seite klicken?! Trotzdem danke für die Anregung und hier der Link zum Buch: http://books.google.de/books?id=BWg8CdosOpMC&pg=PA47&lpg=PA47&dq=Gothajsk%C3%BD+salam&source=bl&ots=5kdOTCMGwk&sig=qNNl2bGIvlnBNru_K8kHpcZdeos&hl=de&ei=1VxWTLyTIMmjOPTfgJ8O&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=7&ved=0CDcQ6AEwBg#v=onepage&q&f=false
22.09.2010
[…] Das Internet vergisst nie! Ende Juli hatte ich über zweifelhafte Erfahrungen mit „Gothajsky salam“ in Plzeň geschrieben. Heute morgen gab es einen Kommentar dazu. Der forderte zunächst meine arg […]