Oscar-Kolumne: Eine Frage des Respekts

Respekt für David Ortmann und Michael Brychcy. Im Dezember verkündeten sie, dass SPD und CDU in Sachen Waltershäuser Bürgermeisterei an einem Strang ziehen. Heißt: Die SPD unterstützt den Amtsinhaber, der am 22. April zum fünften Mal (!) antritt.

Diese mutige, kluge Entscheidung sorgte für Aufsehen weit über den Landkreis. Die beiden sind verschieden und trotzdem eint sie eines: Ihnen ist der Verstand näher als das Parteibuch. Deshalb bekamen sie aber nicht nur Beifall.

Ortmann, 29, Sozialdemokrat, Ortsvereins- und Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, jüngst noch Chef-„Oscar“, jetzt Pressemensch der SPD-Landtagsfraktion. Brychcy, 51, ist Bürgermeister seit 9. November 1989, vom „Runden Tisch“ dazu gemacht. Am Tag, als (Ost-)Berlins SED-Bezirkschef und ZK-Sekretär Günter Schabowski seine eigene Klaue nicht lesen konnte und so versehentlich das Ende der Mauer verkündete…

Ihren „Waltershäuser Weg“ sollten beide beim Patentamt als Wort-Bild-Marke und Geschmacksmuster schützen lassen! Noch ist’s nicht zu spät – auch wenn ihre Idee schon geguttenbergt wurde: Im Weimarer Land (dem Wahlkreis der Ministerpräsidentin – ein Schelm, der Hinterfotziges denkt!) einigten sich ebenfalls im Januar SPD und CDU. Hans-Helmut Münchberg soll Landrat bleiben, wie er es seit 6. Mai 1990 ist.

Aber die Wahlen in Gotha sind auch über den Geniestreich der Puppenstadt-Politiker hinaus historisch, weil die ersten echten „Wahlen 2.0“: Neben den bekannten, meist gut gemeinten, aber selten so gemachten Internet-Seiten von Kandidaten werden die sozialen Netzwerke Wahlkampf-Arenen. Geentert nicht nur von den „Piraten“, die es auch im Landkreis gibt.

Vor allem auf Facebook tut sich was. Hier tummeln sich mehr als 22 Millionen Mitbürger. Machen das „Gesichtsbuch“ so zum bevölkerungsreichsten Bundesland – wenn auch virtuell. Demnach ist jeder vierte Bewohner des Landkreises dabei. Abgesehen vom „Oscar“ kann man über kaum ein anderes Medium so viele Menschen erreichen.

Und es sind nicht nur „digital natives“ – die selbsternannten „Ureinwohner des Internets“, die ohne iPhone, iPad & sonstige Smartphones und Tablet PC wohl blind, taub und stumm wären.

Vielmehr schätzen auch späte Mädchen und Männer mit weniger Haaren, dafür aber mehr Bauch die neuen Segnungen: Via Facebook finden sich alte Schul- und Studienfreunde, Jugendlieben. Es gibt auch Banales bis Behämmertes. Doch schließlich kann man sich aussuchen, wer einem den Bildschirm „vollmüllt“.

Volkes Weisheit kommentiert dies wie gewohnt rustikal: „Man wird alt wie eine Kuh und lernt immer noch dazu …“ Demnach brauchen wir Älteren Facebook nicht den Jungspunden überlassen.

Für gute Sitten – gerade in Zeiten des Wahlkampfes – wird zudem gesorgt: Uwe Walther, der im Frühjahr 2011 seinen Hut in den Ring warf, um Konrad Gießmann als Landrat zu beerben, gründete die Gruppe „Wahlkampf.Fair“. Weil zuvor eine Debatte aus dem Ruder lief. Walthers Initiative, der sich auch die CDU anschloss, zeigt: Es liegt an uns, wie wir miteinander umgehen.

Eben mit Respekt. Respekt auch vor der Meinung anderer, die konträr der eigenen sein kann. Das kann, das MUSS man aushalten. Als Übung in Demokratie.

Auch der Blick in Gruppen wie „Residenzstadt Gotha“,  „99867 Gotha“, „22.04.2012: Oberbürgermeister- und Landratswahlen in GOTHA“ – selbst auf „Gotha tadelt“, einer ironischen Antwort aufs erfolgreiche Marketing der Residenzstadt – offenbart eine erfrischende Vielfalt von Ansichten.

Größter Vorteil: Politik ist transparent, öffentlich. Wird nicht mehr in Hinterzimmern abgestimmt, unterliegt nicht Fraktions- oder Koalitionszwang.

So werden Wahlen allgemein, unmittelbar, frei und gleich – wie es das Grundgesetz zusichert.

(Kolumne, erschienen im „Oscar am Freitag“, Ausgabe Gotha, vom 27. Januar 2012)

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