Oscar-Kolumne: Never ending Story

Hollywood zeigt’s: Taugt ein Plot zum Blockbuster, wird er auf Teufel komm raus ausgebeutet. Kassenschlager haben deshalb ein Nachspiel, auch zwei, drei oder mehr. Und – ist der Drehbuchdrops gelutscht – bekommen sie halt ein Vorspiel. Jüngstes Beispiel war „Star Wars“.

Nun haben wir in Gotha keinen „Krieg der Sterne“. Aber so etwas wie Michael Endes „Die unendliche Geschichte“:

2010 war es. Da kam Investor Josef S. nach Gotha. Mit wunderbarer Vision. Ein Einkaufsparadies wollte er der Residenzstadt bauen. Einen Konsumtempel vom Feinsten. Einen „Glitzerpalast“, wie ein spitzzüngiger Redaktions-Ritter mit frecher Feder stichelte.

Das „Ah!“ und „Oh!“ war so groß wie das „Weh und ach!“. Vor allem Eigner einzelhändlerischer Klein-Kaufladen fürchteten zwar nicht den Untergang des Abendlandes, dafür aber den der Gothaer Innenstadt.

Selbst Stadträte dachten bei „Visionen“ eher an den Doktor, Therapien und geschlossene Anstalten. Deshalb wollten sie nicht Josefs Spiel spielen, der sich gemobbt fühlte.

Vor den rüden Rats-Realos fliehend, suchte Josef zuweilen in Amtsstuben Rettung, Zuspruch und Unterstützung. Die einen dort sahen zu, den Glitzer-Palastianer so schnell wie möglich loszuwerden. Andere hatten ein großes Herz und nahmen sich Josef zur Brust. Manchmal soll es andersherum gewesen sein. Aber wer weiß das schon – nach so vielen Jahren, Bebauungsplänen und Stadtratsvorlagen.

Auf jeden Fall kam so viel Papier zusammen, das ausreichte, ein wundersames Buch zu schreiben. Wer diese Loseblatt-Sammlung zur Gothaer Palast-Revolution lesen würde, dem erginge es vermutlich wie dem kleinen Atréju aus Endes Buch: Sein allergrößter Herzenswunsch wäre, die Vision von Josef und sein Palastásien zu retten – vor den satzungssicheren, linken Stadtratsschreck*Innen und freiwählerischen Wadenbeißer*Innen, piratischen Kult-Templer*innen und wortdrechselnden Witzling*innen. Bloß an Glücksdrachen (blöd – das kann ich nicht gendern ) mangelte es, die der BauBehinderungsBrut Feuer unterm Pops machen würde.

Sechs Mal war Heiligabend. Ohne Bescherung für Josef. Papier aber blieb geduldig. Deshalb ist wieder der Ratschlag der Stadträte gefragt.

Sicher ist, das „Bermuda-Dreieck“ zwischen Garten- und Moßlerstraße, Schützenberg und Remstädter Straße wird keine „Kö von Gotha“. Tröstlich, dass nicht die gesichtslose Anhäufung von XXL-Legoklötzen in Baumarkt-Ästhetik kommt, wie sie ein Plan vor einem Jahr verhieß. Doch auch die beiden aktuellen Varianten muten an wie Pest und Cholera.

Jetzt aber fügt sich, dass es neue (Kommunal-)Wahlverwandtschaften gibt. 36 sitzen da im Bürgersaal. Mehrheiten scheinen klar. Es gibt eine große Koalition, ohne dass sie je besiegelt wurde: Die 21 Stimmen der SPD/FDP- und der CDU-Fraktion reichen.

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Bertolt Brecht, aus: „Der gute Mensch von Sezuan“, Epilog (Der Spieler).

(Kolumne, veröffentlicht im “Oscar am Freitag”, Ausgabe Gotha, am 22. Januar 2016)

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