Das Wort zum MUTwoch: O(h)rgasmus

„Der Lauscher an der Wand …“ sprach meine Mama, während ich ordentlich eins hinter die Löffel bekam. Mit angeborener, ausufernder Neugier übte ich nämlich schon früh den großen Lauschangriff. Noch nicht aus journalistischem, sondern aus rein pragmatischem Grunde: Wer wie ich schlecht sehen kann, muss eben besser hören. Und deshalb manchmal auch fühlen, weil meist dabei ertappt. Handfeste Argumente sollten mich davon abbringen, ständig die Ohren zu spitzen. Mit mäßigem Erfolg, wie sich erwies.

Dennoch formte meiner Mutter Hand – die allerdings weitaus öfter herzlichste Zärtlichkeit austeilte – mein Unrechtsbewusstsein und meinen Anstand: Diskretion zu üben hat, wer unfreiwillig Ohrenzeuge intimster Botschaften wird.

Aber Zeiten ändern sich, Ebenso die Umstände meines Schlafes. Ich leide an Rhonchopathie. Das heißt, eigentlich leide nicht ich, sondern mein Umfeld. Wie 60 % der Mannsleut’ (und 40 % der Weibsbilder) schnarche ich.

Daher bezog ich freiwillig ein Schlaf-Asyl. Statt wie bisherig himmlische Ruhe des idyllischen Innenhofes zu haben, brandet nun an mein Fenster das pralle Leben. Zwar ist die Mönchelsstraße weder Gothas Einkaufs- noch Vergnügungsmeile Nr. 1. Aber nachts sind nicht nur Katzen, sondern auch alle Theorien grau. Besonders in jenen Stunden, bevor es Samstagen und Sonntagen vorm Morgen graut.

Jedenfalls passieren Nachtfalterinnen und –falter allen Alters diese, unsere Mönchelsstraße auf dem Weg in die heimische Heia. Erwachende Frühlingsgefühle erhöhen zudem gerade deren Zahl sprunghaft. Was folgenlos wäre, bliebe es dabei, dass im Dunkeln gut munkeln ist.

Aber der meist genossene Alkohol enthemmt in jeder Hinsicht – auch weibliche Wesen. Vor allem jene reiferen Alters. „Je oller, desto toller“ – es kichert und gackert, es meckert und schnattert. Und es zieht zuweilen so deftig vom geschnürten Leibchen, dass „nicht jugendfrei“ eine ganz neue Dimension bekommt. Von wegen nur Kerle wären schamlose Porno-Grafen! Sie mögen zwar das prahlerischere Geschlecht sein, aber lüsterne Ladys schaffen es spielend wie hemmungslos, ebenso weit unter die Gürtellinie zu treffen.

Jüngst nun juxte ein flotter Vierer direkt unter meinem Fenster. Da parkte im fahlen Laternenlichte die Kalesche für die kollektive Heimkehr nach ebensolcher Einkehr. Die Mädels waren echt gut drauf, hatten zudem Ausdauer. Frau erzählte sich also eine mehr oder minder zotige Schnurre nach der anderen. Unüberhörbar dabei jene, die sie „Elli“ nannten. Ihre gutturale Altstimme erinnerte an Mechthild Großmann; jene Schauspielerin, die die Staatanwältin Wilhelmine Klemm im Münsteraner „Tatort“ spielt. Ihr verdanke ich nun aber auch ungewollt intimes Wissen und pikante Details aus Ellis – wie’s scheint – recht lustigem Liebensleben.

Diese unverkennbare Stimme überraschte mich nun beim Einkauf in einem Gothaer Supermarkt. Über zusätzliche Würze für die sonntägliche Soße sinnend, stand ich wohl im Wege: „Kann ich mal ran?“, maunzte sie mit traumhaftem Timbre und rammte mir dabei fast ihren Einkaufswagen in die Haxen. „Nein, bei mir nicht …“, platzte es aus mir spontan heraus. Irritiert blickend, fragte die überraschend kleine, zierliche Brünette, wohl meines Jahrgangs: „Kennen wir uns?“ Ich entgegnete feixend, dabei aber auch ein wenig rot werdend: „Nicht, dass Sie wüssten …“

Und dafür hätte ich sicher – nach langer Zeit mal wieder – von Muttern Renate eine geklebt gekriegt.

(Mittwochs gibt es “Das Wort zum MUTwoch” im Blog vom thueringen-reporter)

0 Comments

  • Lichtmalerin (#)
    04.04.2012

    Herzhafter Lacher am Morgen – wunderbar. Und wer enthemmte Damenkegelclubs, Fastnachtssitzungen für „Hausfrauen“, „Hausdrachen“, Hexen und wie immer sie sich nennen mögen, erlebt hat: Die Damen haben es faustdick hinter den Ohren und unterschreiten gelegentlich das eh schon mickrige Niveau vergleichbarer Herrenrunden. (Handfeste Erfahrungswerte aus langjähriger Zeit als Regionalreporterin in beiden Welten einer Fassenachtsregion 😉 … bevor jemand meckert.)

    • _Der|Aschenbrenner_ (#)
      04.04.2012

      Jepp; vegleichbare Erfahrungen gemacht: Samstagstermin am Abend Mitte der 1990er-Jahre, während der Karnevalszeit. Gotha. Kulturhaus. „American Dream Boys“. 700 Weiber; wehe, wenn sie losgeslassen. Anschließend Plauderrunde mit den Jungs, die deftigste Storys zu berichten hatten. Breit grinsend, weil meinend, Stripper-Latein gehört zu haben, auf zum nächsten Termin: Weiberfasching in W., nahe bei Gotha. Ankunft bei durchschnittlich 1,5 Promille. Nach zehn Minuten fürchtete ich um meine Kamera, meine Unschuld und meine Reputation … 😛

  • Lichtmalerin (#)
    04.04.2012

    Oh – lach nicht, das funktioniert auch als Frau unter Frauen: Komischerweise haben sich mir gegenüber selbst sturztr… äh, Herren in eindeutig lädiertem … also … na gut, in nicht mehr so ganz gesellschaftfähigem Zustand durchaus chevaleresk benommen. Die Damen allerdings entpuppten sich recht schnell als ganz und gar nicht damenhaft. (Ein Schelm, der …. 😉 ….)

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