Mit Genuss an die Spitze

Deutschlands beste Weinfachhändler sind Sigrid und Jochen Schmidt. Die beiden vom gleichnamigen Weinhof in Gebesee, nördlich von Erfurt gelegen, haben das schriftlich. Das Deutsche Weininstitut kürte sie im Vorjahr unter 120 Kandidaten. Diese Ehre wurde ihnen zuteil, weil sie einheimischen Weinen besondere Aufmerksamkeit widmen. Vor allem das Saale-Unstrut-Anbaugebiet hat beider große Sympathie. Schon 2014 landete der Weinhof unter den zehn Besten der Branche.

Vor einem Vierteljahrhundert verwandelte sich ein traditioneller Bauern- in einen Weinhof. Seither ist Gebesees Mühlstraße Mekka der Genießer. Denn das sind Weintrinker – in aller Regel. Wie die Schmidts.

Bevor sie ihr Faible für edle Tropfen zum Beruf machten, hatten beide anderes zu tun: Sigrid lehrte im Gebeseer Gymnasium jungen Menschen gutes, korrektes Deutsch und dass Kunst eine spannende, bereichernde und lustvolle Sache sein kann, wenn man sich auf sie einlässt.

Jochen hingegen stand irgendwie immer unter Spannung – im wahrsten Sinne des Wortes, denn er ist gelernter Starkstromanlagenbauer. Als dem Arbeiter- und Bauernstaat 1990 der Saft ausging, zog auch der gebürtige Walschleber den Stecker, suchte nach neuen Energiequellen für sein Leben.

Die fand er im Wein. Das war beileibe keine Kurzschlusshandlung, denn er hatte schon in jungen Jahren, „so mit 12 oder 13“, von der süßen Frucht der Versuchung genascht – dank „Westkontakten“: „Eine Tante aus Franken hatte uns ,Bocksbeutel‘ beschert und so erfuhr ich, dass es auch etwas anderes als Obstweine gibt. Den zu machen, war allerdings Tradition in der Familie.“ Darüber hinaus gab es auch vor 1990 hierzulande neben zuckersüßen Sachen wie „Mädchentraube“ oder „Murfatlar“ wirklich Charaktervolles wie das legendäre „Erlauer Stierblut“ oder den rumänischen Pinot Noir. Weintrinker –  erst recht Weingenießer! – waren dennoch eine Minderheit auf dem Boden des realen Sozialismus.

Jochens Vorliebe für den Rebensaft führte ihn jedenfalls schnurstracks nach Baden-Württemberg, nach Breisach am Rhein. Dort residiert die Badische Winzerkeller eG – ein Verbund von Winzergenossenschaften. Und da fand man den wein- und feingeistigen Jochen so patent wie geeignet, die badischen Produkte unters Thüringer Volk zu bringen. Sieben Jahre lang währte diese Partnerschaft. Dann hatten Schmidts verstanden, dass die Gastronomie ihr Wachstumsmarkt werden könnte, „wenn wir mehr als nur einen Anbieter präsentieren. Dafür braucht es die Auswahl – an Rebsorten, an Anbaugebieten, an Jahrgängen.“

Wer das stemmen will, muss fleißig reisen und noch fleißiger testen und kosten. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Deshalb ist z. B. die Düsseldorfer Messe „ProWein“ absolute Pflicht. 6.000 Aussteller bieten schier grenzenlose Auswahl. „Eine Fundgrube“, schwärmt Sigrid: „aber wir sind immer zielgerichtet unterwegs, damit man sich nicht verliert.“ Sie suchen nur Weine, die sie begeistern. Dafür werden auch schon einmal 30 verkostet, bis der eine dann gefunden ist.

Das hat mit ihrem Selbstverständnis zu tun: „Wir machen die Qualitätskontrolle für unsere Kunden.“ Und weil sie dies über Jahre und überzeugend vermitteln, haben sie auch viele Stammkunden. „Das sind Gastonomen, die kommen mit ganz klaren Vorstellungen, welche Speisen welchen Geschmack haben werden und suchen dann den passenden Wein dazu.“

Jahr um Jahr wächst Schmidts Angebot. Denn Jahr um Jahr wachsen Schmidts Ansprüche. Immer auf der Suche nach dem Besonderen. Nach Überraschendem. Und je feiner die Nasen wurden, je sensibler Zunge und Gaumen, desto feinmaschiger wurde das Netz, mit dem die beiden in den unendlichen Weiten des Weinuniversums fischten. An die 1.200 Sorten sind derzeit am Lager. Ihre besondere Aufmerksamkeit haben dabei die Saale-Unstrut-Weine. „Wir wollen schließlich unsere Region voranbringen und deshalb die Weine von hier verkaufen.“ Die machen sie geradezu euphorisch, „weil von dort unglaublich schnell vorzügliche Qualität kam“. Wohl auch, weil man eigentlich bei Punkt Null angefangen und gleich in modernste Kellertechnik investiert habe.

Mit Genuss zur Spitze
Wein gewinnt, zunehmend. Denn während der Pro-Kopf-Verbrauch an Bier sinkt, steigt die Lust der Deutschen auf Bacchus‘ Gaben. Schmidts meinen, dass sich schon zur Jahrtausendwende dieser Trend abgezeichnet habe. Seither jedenfalls verspüren sie eine stärkere Nachfrage.

Zudem würden Gastronomen nicht nur mehr kaufen und steigende Ansprüche an die Qualität der Ware haben. Sie hätten überdies stetig wachsendes Interesse an Weiterbildung – geweckt durch Schmidts Seminarangebote. Eine logische Konsequenz daraus, dass sich bei beiden über die Jahre sowohl Geschmacks- wie auch Geschäftssinn fein ausgeprägt hatten.

2002 wurde die Vinothek auf dem einstigen Heuboden eröffnet. Den hatte Sigrids Vater kurz vor der Wende noch ordentlich gefüllt – mehr als 40 turmhoch gepackte Fuhren mit Strohballen waren nötig, um Baufreiheit zu schaffen. Der weite, lichterfüllte Raum lässt seither Geschmackvolles noch mehr zur Geltung kommen – sowohl die Auswahl der Weine, als auch jene von Kunstwerken an den Wänden. „Genuss hat immer mit Kultur zu tun.“

Beides angetan, Seminaren das besondere Flair zu geben. Bis zu 40 Leute finden hier Platz. Die Nachfrage wuchs stetig, so dass sich nun auch in der angrenzenden Scheune alles um das spannende Wechselverhältnis von verschiedenen Weinen zu diversen Gewürzen dreht oder darum, in welchem Glas welcher Wein am besten mundet.

Beides schier unerschöpfliche Themen und voller Überraschungen, wie Jochen Schmidt am praktischen Beispiel demonstriert: Ein Grüner Veltliner aus dem Kamptal. Vor zwölf Jahren in die Flasche gekommen. Ins klassische Weißweinglas eingeschenkt, bleibt sein wuchtiges Bouquet wie ein Pfropfen auf dem gereiften Wein liegen. Ist so kompakt, dass die Nase kaum Nuancen wahrnehmen kann. Die gleiche Menge Wein in einem größeren, weiter geöffneten Kelch – und Überraschendes passiert: Mit Macht entfalten sich kräftige Noten von Rosmarin und Thymian, umschmeichelt vom markanten Duft von Honig. Keine Spur mehr von Pfeffer oder Tabak, Citrus oder Pfirsich, die einst den jungen Weißgipfler – wie er in seiner österreichischen Heimat auch heißt – auszeichneten. „Ein großer Wein braucht eben das geeignete Glas“, meint Jochen Schmidt und genießt.

Das Glas macht auch den Rotwein – hier allerdings zuweilen im entgegengesetzten Trend. Manchem Tropfen hilft dann das schmale Glas, seine feine Note länger zu halten.

Aber da sich über Geschmack trefflich streiten lässt, erteilen die beiden Schmidts keine Verdikte. Sie regen ihre Seminaristen an, selbst Erfahrungen zu sammeln, zu probieren, zu studieren.

Rund 400 Kunden hat der Weinhof Schmidt. Nicht wenige davon sind den Gebeseern seit vielen Jahren treu. Doch die Gastronomie ist auch eine Branche des steten Wandels. Weil sich beim Gast Vorlieben für diese oder jene Küche, die eine oder andere Speise ändern. Weil die „Geiz ist geil“-Mentalität sich hartnäckig hält. Weil Essen hierzulande für eine Mehrheit zunächst und vor allem dazu dient, satt zu werden.

Aber auch, weil die Branche mit sich selbst kämpft, gegen ein schlechtes Image angeht, mehr Charme und Attraktivität versprühen mag. So wie etwa Maria Groß, die einstige Sterneköchin des „Kaisersaals“. Sie wagt sich deshalb jetzt mit Erfurts „Bachstelze“ auf neue Pfade. Sie wie andere der jungen Kochgeneration erklären den Genuss zum Ziel allen Tuns.

Und sind damit bei Schmidts in bester Gesellschaft. „Es werden immer jene überleben, die mit Leib und Seele in der Küche dabei sind, die ein eigenes Konzept haben.“

(„Besser leben“, Ausgabe 03/März 2018)

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