Polchower Originale

Diese Krabbensuppe ist jeden, auch noch so weiten Weg wert. Auch den über fast 600 km und aus Thüringen. Jürgen Lemkes Gericht ist einfach göttlich …

Mal wieder auf Rügen, verschlug es mich nach Polchow. Das kleine Dörflein am Jasmunder Bodden – zwischen Sargard und Bobbin – findet sich in keinem Wander- oder Gastronomie-Führer oder einem der vielen bunten insulanischen Touri-Prospekte.

Dafür aber hatten die „FOCUS“-Leute und auch die von der „SUPER-Illu“ den richtigen Riecher – im besten Sinne des Wortes. Oder ausnahmsweise mal wirklich guten Geschmack 🙂 Jedenfalls zieren deren Veröffentlichungen über Lemkes lukullischen Landsitz dessen „Wall of Fame“ …

Mitten im Ort, seit nahezu 150 Jahren, gibt es schon diesen besonders gastfreundlichen Ort: „Zum Jasmunder Bodden“. Wie sonst könnte er auch heißen?

Seine lange Geschichte ist seit 1975 mit der Familie Lemke verbunden. Christel und Kurt übernahmen damals Kochlöffel und Kommando. Heute zeigt Sohn Jürgen Flagge. Nicht nur hinterm Tresen, aber zunächst dort: Mag auch manch wohlgebildeten Weitgereistem sein bodenständiger, zuweilen deftiger Humor ein wenig zu weit gehen, meine Sympathie hatte der Fast-Mittfünfziger gleich, als ich schon sehr spät am Abend die äußerlich eher unscheinbare Gastwirtschaft betrat.

Kleine wortgewitzte Pfeile pfiffen alsbald geschwinde hin und her. Schnell war klar: Ich Gast war zwar König, aber uneingeschränkter Zeremonienmeister am Hofe – das war Jürgen.

Eine Bestellung aufnehmen heißt bei ihm nämlich nicht einfach nur, den Wunsch des Ankömmlings zu hören. Vielmehr startet ein Feilschen und Kämpfen um Worte und Widerworte, das zunimmt und wieder abebbt – gerade so, wie man sich der gut meinenden und gut gemeinten Empfehlung des Maître de Plaisir fügt oder auch nicht.

Redegewandt und rührig weiß Jürgen, was derzeit die Küche hergibt: Aus berufenem Mund,  weil dem der Mutter. Und wahrlich! Die Vielfalt fangfrischen Flossengetiers, die in den hinterwärts gelagerten Katakomben nach einfachstem, deshalb aber nicht minder köstlichsten Rezepten zubereitet werden, ist beachtlich: Da werden Dorsch und Zander, Flunder und Hecht, Aal und Lachs, Forelle und Heilbutt in die Pfanne gehauen. Erst bemehlt und dann in Butterschmalz ausgebacken, dass es eine Lust ist, selbst die knusprige Haut zu vertilgen.

Gleich Kostproben von fünf Sorten feinsten Fisches – Dorsch, Zander, Aal, Hecht und Flunder – kredenzte Jürgen nach der sensationellen Krabbensuppe (DAS Rezept muss ich haben!). Dazu einen Fuder Bratkartoffeln, die allein schon den Besuch in der Polchower Abgeschiedenheit rechtfertigten.

Dazu süffelte Einermeiner einen Rosè mit zwar schwer definierbarer Herkunft, aber so eiskalt wie das Händchen aus „The Munsters“.
Als ich mich der zweiten Hälfte der Flasche widmete, beendeten Christel und ihre Tochter Roswitha die Küchenfron. Während sich Jürgen kurz ins häusliche Hinterland verkümelte und  tapfer Töpfe und Tiegel abwusch, kamen die beiden Damen mit dem späten Gaststubenhocker ins Schnacken, wie man auf plattdüütsch sagt.

Ein Glas später hatte Roswitha erzählt, wie sie zu DDR-Zeiten in Sassnitz mehr als 2.000 Fischfabrikanten nicht nur das Mittagsmahl gekocht hatte. Ich wusste Bescheid darüber, welche amourösen Abenteuer „der Jürgen“ in der Lufthalle des Glower Zeltkinos hatte und warum die Soljanka von Christel mit Sauerkraut gemacht wird.

Einen Kostproben-Teller davon konnte ich nicht ausschlagen wie auch nicht den Blick in einen dickbäuchiges Bilderbuch von der Hochzeit der jüngsten Schwester von Roswitha und Jürgen, die der legendäre Binzer Fotografenmeister Zobler abgelichtet hatte …

Fast schon Mitternacht war es dann, als ich aufbrach.

Dass ich wiederkommen werde, steht unwiderruflich fest – und nicht nur wegen der Krabbensuppe. Vor allem die gastfreundliche, offene Art der Lemkes, die hat es mir angetan. Dieses herzliche, warme Willkommen-Sein für ein paar Stunden bei diesen Polchower Originalen.

 

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