Oscar-Kolumne: Über Nahverkehr, Waschbärbäuche, Sternenkreuzer und müllomane Mitmenschen

Nicht nur Lesen bildet. Auch Radfahren.

Ich habe diese Art der Fortbewegung für mich wiederentdeckt – nach fast 40 Jahren Abstinenz.

Dazumal machte mich als Bürschlein klein ein Rad der Marke „Diamant“ mobil. Damit konnte ich die Oberlausitzer Welt „erfahren“. Postpubertär kam ein gewisser Begehr nach Nahverkehr hinzu, den zu erfüllen der VEB Kraftverkehr Hoyerswerda nicht in der Lage war – weil der letzte öffentliche „Lumpensammler“ so früh fuhr, dass gerade mal die Damenwahl erfolgt war – falls überhaupt! Das macht das „Diamant“ zur Alternative, erweiterte mir Horizont und Jagdrevier in Sachen holder Weiblichkeit. Und ich lernte fürs Leben: Tretarbeit sorgt für Triebbefriedigung.

Diese lustvolle Lektion aus längst vergangener Jugendzeit erlebt nun eine neue Interpretation: Heutzutage strampele ich mich v. a. ab, um die Birne auszulüften.

Auch Eitelkeit spielt eine Rolle: Kniff bisher der Bund der (selten getragenen) Anzugshose, wurde der Waschbärbauch eingezogen, mit Frischhaltefolie gewickelt und so auf diesen verträglichen Umfang fixiert.

Heute tickt der Kalorienzähler beim Tempo machen: 7.000 kcal zusätzlich verbraucht, schmelzen 1 kg Körperfett. Dafür muss ich gut 300 km schrubben. Doch Ehrgeiz und Ausdauer vorausgesetzt, habe ich nun eine nachhaltige Methode, meinen Body zu builden.

Radfahren ist auch ein Abenteuer; nicht nur wegen unheimlicher Begegnungen der dritten Art, wenn PS-starke Sternenkreuzer Pedaleure wie mich von der Straße fegen.

Nein auch so, im Landkreis, in seinen unendlichen Weiten. Wir schreiben das Jahr 2017. Viele Kurbelumdrehungen von meiner Wortdrechselei entfernt, dringt der Herr Aschenbrenner deshalb zu Orten vor, die der Automobilist in ihm nie zuvor gesehen hat. Die sind oft so überraschend, dass mir Goethe in den Sinn kommt: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!“

Radeln bringt aber auch Erfahrungen, die das Nachdenken befördern. Zum Beispiel über illegale Müllberge. So liegt seit Jahren nun schon Bauschutt mit jeder Menge Asbest auf dem Gelände zwischen Diebestieg, Spohr- und Schillerstraße, im ehemaligen „Winter’s Autocenter“. Auch auf dem Krahn- und Seeberg muss man nicht vom Rad absteigen, um solche Zeugnisse menschlichen Egoismus’ zu sehen.

Den Dreck anderer wegzuräumen, bleibt am Landkreis hängen bzw. ist’s Sache der Gemeinden innerhalb deren Gemarkungen. 115.000 Euro im Jahr zahlt deshalb z. B. der Landkreis.

Dabei gibt es sieben (!) Wertstoffhöfe im Kreis. Dort kann man – Tag für Tag! – 2 m3 Sperrmüll kostenfrei loswerden. Für lau kümmert man sich dort auch um Elektrogeräte oder Schrott, Altholz und alte Farben.

Die Mehrheit hält sich an Regeln. Die Gesetze scheinen aber die Wenigen nicht zu schrecken, auch nicht die bis zu 50.000 Euro Strafe fürs illegale Entsorgen. Ich kann mich zudem nicht an Medienberichte erinnern, dass jemand mal auf frischer Tat ertappt wurde.

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Ein bissl resignierend gebe ich Albert Einstein Recht.

(Kolumne, veröffentlicht im “Oscar am Freitag”, Ausgabe Gotha, am 26. Mai 2017)

 

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