Wald, Wurst und Windräder

Gast-Beitrag von Anne ASCHENBRENNER

Es war wortwörtlich ein Kurztrip. Knapp drei Tage verbrachte mein Freund, Südfranzose durch und durch, im schönen Thüringen, beziehungsweise in Gotha – meiner Heimat. Es war das erste Mal, dass er deutschen Boden unter den Füßen hatte und es war so, wie er es sich vorgestellt hatte. Und doch ganz anders.

Auch wenn Franzosen generell wenig Ahnung von Deutschen und Deutschland haben, so teilt jedoch ein jeder gerne seinen Stereotypenschatz mit Ihnen, wenn Sie denn nur zuhören wollen. „Deutschland?  – Bier, Wurst und dicke Menschen. Frauen, die sich nicht rasieren, schnelle Autos und eine so disziplinierte Bevölkerung, dass sie nicht einmal über die Straße gehen, wenn es rot ist, auch wenn nicht ein Auto unterwegs ist.“

Wir sind also ein Völkchen, das gerne isst und trinkt, dementsprechend aussieht, trotz allem stramm steht, wenn es soll und den Neid der westlichen Nachbarn auf sich zieht, da wir schnelle Autos und das Recht haben, diese auch so zu fahren, wie es uns beliebt.

Oh; und natürlich nicht zu vergessen: Es ist immer grau und es regnet ständig, was dann natürlich auch unseren gesteigerten Alkoholkonsum erklärt. Muss ganz schön trist sein, niemals die Sonne zu sehen …

Interessant. Stereotype sind wie Gerüchte, ein Fünkchen Wahrheit steckt immer drin.
Was denkt nun dieser Froschverspeiser, ja auch wir haben idiotische Vorurteile, von Deutschland, Thüringen und Gotha im Speziellen? Was hat ihn am meisten gewundert, begeistert oder verschreckt?

Nun, ich kann Sie beruhigen: Es hat ihm gefallen. Er, der er aus einem kleinen Bergdorf oberhalb Nizzas kommt, freute sich sehr, zu sehen, dass das grüne Herz Deutschlands diesen Namen zu Recht trägt. Wald und Wiesen waren ganz nach seinem Geschmack und machten ihm direkt Lust, mit seinem jüngeren Bruder bald zurück zukommen, um die 168,5 km des Rennsteiges zu erkunden.

Nächster Pluspunkt … WURST! Dies war auch eines der ersten Worte, das er gelernt hatte, schon in Frankreich, unumgänglich, wie Sie sich vorstellen können, wenn man mit einer Thüringerin zusammen lebt. Er war derart begeistert von diesem Wort und unseren Produkten, die ich ab und an aus der Heimat mitbrachte, dass er das Wort „Wurst“ zu einem französischen Verb weiterentwickelt hat … „wurster“!

Was es bedeutet? „Alles und nichts“ antwortet er mir stets mit einem breiten Grinsen. Es ist anfangs jedoch recht befremdlich, Sätze zu hören wie „Qu’est-ce que t’as wursté encore?“ (zu deutsch: „Was hast du denn schon wieder rumgewurstet?“)

Wurst also, vor allem Streichwurst, die begeistert ihn. Wurst zum Schmieren, so etwas kennt er nicht aus Frankreich. Gut, es gibt „paté“. Das ist wurstartig und zum Streichen, hat aber nichts mit den Hunderten von leckeren Wurstarten zu tun, die man in Deutschland finden kann. Auch Gehacktes (das aus Schweinefleisch) mit Zwiebeln auf Brot findet er großartig, in Frankreich gibt es beinahe ausschließlich reines Rindsgehacktes. Kulinarisch gefällt es ihm also zwischen Wurst, Klößen und Kartoffelsalat.

Dass ihm, als Guinness-Genießer, unser Bier sehr gefallen hat, scheint logisch. In den vier Tagen hat er so viele Biere probiert, wie es ihm möglich war. Jedes Mal, wenn ich fragte, was ich denn für ihn bestellen solle, meinte er nur: „Ein dunkles Bier – dass ich noch nicht hatte.“ Am Anfang hängte er noch den Zusatz an: „… wenn es denn noch ein anderes gibt.“ Nach dem vierten oder fünften Mal hatte er dann aber eingesehen, dass es weit mehr als einige Tage dauern würde, bis er das deutsche Angebot an verschiedenen Bieren völlig ausgeschöpft hätte.

Aber nicht nur, dass wir eine große Auswahl haben, verzückt ihn. Zum Vergleich: Wenn Sie in Aix-en-Provence dunkles Bier suchen, kann ich Ihnen versichern, dass Sie maximal acht verschiedene finden werden, und dabei fast ausschließlich ausländische, denn die Franzosen brauen wenig, und wenn ich hier meinen französischen Freund zitieren darf: „… und wenn sie brauen, brauen sie dann nur Sprudelpisse“.

Nein, nein: So ist das deutsche Bier nicht, alle sind ausgezeichnet! Jenes ist fruchtig, dieses kräftig und das andere würzig. Seine braunen Augen strahlen wie die eines Kindes vor dem Weihnachtsbaum, wenn er von unserem Bier spricht.

Was dieser kulinarischen Liebesbezeugung folgte, war: „Ok, jetzt verstehe ich, dass es so viele übergewichtige Deutsche gibt. Mich würde dieses Schicksal hier wohl auch ereilen.“ Weitere Schlussfolgerung, die mich stocken ließ: „… und da es so viele kräftige Menschen hier gibt, ist es auch logisch, dass bei Euch alles groß ist!“

Er meinte den vielen Raum, den wir in Straßenbahnen, Fahrstühlen und auf den Fußwegen haben, denn in Frankreich ist alles ein bisschen enger …

Ich, die ich nun knapp vier Jahre im Süden von Frankreich gelebt habe, muss zugeben, dass wir Deutschen schon etwas korpulenter sind. Vergleicht man aber auch unsere Essensgewohnheiten und die Portionsunterschiede zwischen der Region Provence Alpes Côte d’Azur (kurz PACA – also der gesamte Südosten Frankreichs) und Thüringen, wundert es nicht wirklich. Oliven und Fisch sind eben weniger „gehaltvoll“ als Klöße und Braten.

Was unsere Disziplin betrifft, so waren es vor allem die blinkenden Straßenbahnen Erfurts, die ihm deutsche Ordnung und Regeltreue bewiesen. Als wir vom Domplatz Richtung Anger schlenderten, und eine Straßenbahn vorm Abbiegen den zugehörigen Blinker setzte, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Bei uns blinkt man nie oder wenn, dann in die falsche Richtung …“, erklärte er, immer noch die Straßenbahnblinker fixierend. „Nicht nur, dass Ihr Euch immer schön rechts einordnet auf der Autobahn und dass Ihr mit Euern Autos immer blinkt. Bei Euch blinken sogar die Schienenfahrzeuge … Wahnsinn!“ Bei so viel Begeisterung für ein Lämpchen, das an- und ausgeht, und dessen Benutzung durch die Deutschen, konnte ich mir dann das Lachen doch nicht verkneifen. (Zumal ja hierzulande der allgemeine Eindruck erweckt wird, die Deutschen würden sich zur Nation der Blinkmuffel entwickeln – mein Tipp: Einfach mal nach Frankreich fahren …)

Was ihn letztendlich völlig von Deutschland und deutschen Qualitäten überzeugte, waren unsere Windräder. Und das Recycling selbst in den ICE-Zügen … Er, aufgewachsen in einem „Hippie-Bio-Öko-Haushalt“, wie ich es so gerne umschreibe, fand es bewundernswert, wie penibel wir bei der Mülltrennung sind, sei es zu Hause, im Zug oder am Bahnsteig. Als er sah, dass wir sogar grünes, braunes und weißes Glas trennen, schimpfte er mehrere Minuten über die Unverantwortlichkeit seiner Landsmänner und –frauen, die einen Sack für alles haben.

Auch unsere Windparks versetzten ihn in Rage wegen seines Heimatlandes, das knapp 70 % seiner Energie aus seinen Atomwerken bezieht. „Ich habe Deutschland schon immer als Vorbild in Sachen Umwelt angesehen“, schloss er seine Abrechnung mit der Grande Nation.

Mit Wald, Wurst und Windrädern haben wir es also geschafft, einen Südfranzosen, der Meer und 30° Grad gewohnt ist, in einen Fan des Thüringer Waldes zu verwandeln.

Wenn Sie wissen, wie chauvinistisch die Franzosen von Natur aus sind, dann freuen Sie sich sicher ebenso sehr wie ich darüber. Und wenn ich von nun an in Aix-en-Provence sitze und denke: „… bin ich weit in der Welt, habe ich Verlangen, Thüringer Wald, nur nach Dir …“ wird es von der Seite schallen: „Moi aussi! – Ich auch!“

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