„Vergiss die Bayrische Vereinsbank!“

1974, im Juni. Der Gothaer Bernd Messing schippert in Diensten der DDR-Handelsmarine übers Meer. In Bremen hat man Anker geworfen. Messing und andere packen die einmalige Chance beim Schopfe und beschaffen sich Karten. Karten für das Weltmeisterschaftsspiel BRD – DDR, das am 22. im Volkspark-Stadion in Hamburg über den Rasen gehen soll. Doch zwei Tage vorher kommt die Order zum Auslaufen …

2011, im Februar. Bernd Messing steht andächtig wie zehn andere Mannsbilder und lauscht Paul Breitner. Dem Breitner, den man nicht „Legende“ nennen darf, „sonst kriag I an Vogl“. Breitner gehörte fast 37 Jahre zuvor zur Elf, der Jürgen Sparwasser das Sensations-Tor einschenkte. Als in der 77. Minute „da Maier Sepp“ geschlagen war, drehte der halbe Arbeiter- und Bauernstaat durch. Helmut Schöns Truppe aber ersparte die Niederlage in der folgenden Zwischenrunde die Brasilianer, ebnete wohl so auch ein wenig den Weg zum WM-Titel.

Wie auch immer – jetzt ist er da, der Paul. In Gotha. Leibhaftig. Und was für’n fescher Kerl das ist?! Man sieht im keinesfalls an, dass er im September 60 wird. Braungebrannt, immer noch fast drahtig. Doch statt der Töppen hat er feine braune Lederschuhe an, eine kakifarbene Hose. Unterm dunklen Jackett ein offenes, grau-weiß gemustertes Hemd. Zugegeben, seine Löwenmähne bändigte das Alter. Aber immer noch hat er genug Haare auf dem Kopf. Und auf den Zähnen. Sowieso.

Die Elf der RaiBa konnte sich zuvor schon 20 Minuten mit ihm aufwärmen. Zum Glas Sekt und unterhaltsamen Breitner-Sprüchen gab es abschließend handsignierte Bücher. Mein Gott, wegen welch scheinbarer Kleinigkeiten Männeraugen leuchten können!

Und Paul Breitner hatte schon nach seinen ersten Sätzen ein klares Heimspiel. Den beiden RaiBa-Vorständen Wasser- wie Hackethal und Prokurist Lugauer schwoll sichtbar die Brust und selbst die anderen acht Kunden der Bank waren überwältigt, als er strahlend berichtete, seit 39 Jahren Kunde „und Teilhaber“ der Raiffeisenbank Eichenau, nördlich von Nürnberg gelegen, zu sein. Die erste von vielen Schnurren die Breitner zum Besten gab, handelte dann auch vom ehemaligen Chef dieser Raiffeisenbank: Der habe ihn während seiner Fußball-Jahre in Spanien öfter besucht „und dann die Kontoauszüge mitgebracht“. Sein bester Freund Uli Hoeneß, den er beim Fußball, beim ESV Freilassing kennengelernt hatte, gab ihm damals den Tipp: „Vergiss die bayrische Vereinsbank!“

Breitner ist eben inzwischen ein erfahrener Erzähler. Weiß, wie man ein Publikum fasziniert. Er muss sich aber nicht sonderlich anstrengen im prasselvollen Saal des Best Westerns. Alle 180 Karten waren schnell weg. Die wenigsten blieben in Gotha. Aus Saalfeld, Jena, Erfurt und Frankfurt am Main wallfahrten Verehrer und Verehrerinnen. Und ob es nun Gemahl Gerd passte oder nicht – Klaudia Schnitter hatte sich ihn als Chauffeur und abendlichen Begleiter gechartert. „Dabei interessiert mich Fußball nicht die Bohne“, knurrt der Coburger, um hernach versöhnlich nachzuschieben: „Aber der Paul, der ist wenigstens a Bay’r …“

“Ein Ur-Bayer …“, betont der: „Dös ondere san olles Pseudobayern, dö Frangn und dö Niadabayern.“ In Kolbermoor, „a kloanes Nest bei Rengschpurg“, tat er 1951 seinen ersten Brüller. Der Vater, der 90 km entfernt, in Freilassing, in einer Strumpfwarenfabrik arbeitete, holte die Familie zehn Jahre später dorthin. Im nicht weit entfernten Traunstein sollte „da Bub“ aufs Gymnasium gehen.

Redet Breitner über Breitner, als Breitner für Geld gegen die Lederkugel trat, dann formuliert er wunderbar selbstironische, knallige Sätze voller klarer Ansagen. Er war und ist kein Ziseleur – so, wie er einst kickte, so spricht er heute. Und das kommt an.

1983 ging er das letzte Mal mit den Jungs von Bayern München gemeinsam duschen. Seither will er noch nicht einmal aus Spaß wieder gekickt haben. Nun ja, man sollte das nicht ganz so ernst nehmen. Aber damals, da war definitiv Schluss: „Ich hatte die Schnauze voll.“

Sein Resümee der 13 Jahre Profi-Fußball hört sich so an: „Andere hätten 35 Jahre spielen müssen, um nur die Hälfte von dem zu erleben, was ich durchgemacht habe.“ Und in der Tat – mehr nur als ein dickes Buch ließe sich über den Mann schreiben.

Für die Chance, Profi-Fußballer sein zu können, ließ er 1970 sein Pädagogik-Studium sausen und ging nach München; damals schon begleitet von Uli Hoeneß.

Vier Jahre später wurde Breitner ein „Königlicher“, lief für Real Madrid auf. Als 1977 seine erstgeborenen beiden Töchter in die Schule kommen sollten, krieselte es kurz im Breitner-Haushalt. Gattin Hildegard, die mit den Kindern zurück nach Deutschland wollte, habe nichts dagegen gehabt, dass er Beckenbauer nach New York gefolgt wäre: „Wir hätten dich auch besucht in den sieben Monaten, die die Saison dort dauert“, soll sie gesagt haben. Erzählt er jedenfalls süffisant lächelnd. Breitner machte das glatte Gegenteil. Und Eintracht Braunschweig bekam seinen wohl berühmtesten Spieler. 1978 unterschrieb er wieder einen Kontrakt mit dem 1. FC in München.

Eine lange Funkstille zwischen dem knurrigen Kerl und „seinen“ Bayern gab es ab 1983. Breitner deckt nicht alle Karten auf, warum das so war. Aber da ist halt nicht nur einmal Gras drüber gewachsen. Seit 2007 ist er als Chefberater des Vorstandes, das Trüffelschwein, geht es um Talente. Er findet die, die andere auch ganz gern hätten.

2011, im Februar: Nach drei Stunden launiger Lesung und amüsantem Plausch mit dem Publikum sitzt ein zufriedener Paul Breitner am Tisch. Ein klitzekleines bisschen tut so viel aufmerksame Dankbarkeit selbst einem scheinbaren Raubein wie ihm gut. Und außerdem ist der Ball rund und ein Spiel hat 90 Minuten.

„Auf´m Todnbett wern´s nu kimma und mi nach´m Elfer vo Neinzehnvierersibzg frogn“, lässt er ein letztes Mal am Abend seine sonore Stimme erklingen.

Dann kommt der Abpfiff.

(geschrieben für das Kunden-Magazin der Raiffeisenbank Gotha eG, als Kurzfassung auch auf deren Internet-Seite zu finden)

Besten Dank an Carolin für die bayrischen Übersetzungen!

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