„Sire, gebt Visionen!“

Wir brauchen keine Visionen. Wir brauchen mehr Verantwortung.“

Das sagte Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Fernsehinterview des ZDF-Infokanals, das heute (28. Juni) ausgestrahlt wurde.

Ich habe genau hingehört, was er davor und was er danach sagte. Es bleibt aber dabei: Schmidts erste Aussage ist falsch.

Es sind gerade jene Visionen, die uns derzeit fehlen. Schmerzlicher noch als der Mangel an Verantwortung ist die Abwesenheit von Visionen.

Saint-Exupéry lässt den kleinen Prinzen sagen: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, die Holz beschaffen, Werkzeuge vorbereiten, Holz bearbeiten und zusammenfügen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, unendlichen Meer.“

Eben jene Sehnsucht nach dem Meer, nach einer erstrebenswerten, spannenden Zukunft, nach dem Aufbruch ist es, die motiviert. Mich zumindest.

Schmidt in Ehren zu halten, bedeutet, auch anderer Meinung als er sein zu dürfen. Und das bin ich ganz entschieden. Die Polit-Ikone ist im 92. Lebensjahr. Und er sagt von sich selbst, dass er ein „alter Mann“ sei. Insofern ist es nicht schlimm, dass er zuweilen im Gestern verharrt.

Von gestern ist es eben, in einer so komplizierten, weil globalisierten Welt einfache Antworten auf jede Frage geben zu wollen: Ein jeder sei seiner Veranwortung bewusst und handele danach. Nur so, meint Schmidt, könne man die schwierigen Fragen des Alltags lösen.

Hat er nicht unrecht. Liegt aber damit trotzdem falsch: Der Einzelne vermochte nicht vor 60 Jahren, nicht heute und wird es auch nicht in 60 Jahren vermögen, zu bemessen, was sein konkretes Tun in der Allgemeinheit und für sie erwirkt. Deshalb braucht es Visionen, Richtung weisende, verbindende Ideale, denen viele folgen können, damit es möglichst allen zugute kommt.

Vision ist eben der Definition nach „eine wirklichkeitsnahe Vorstellung der gewünschten Zukunft“. Ein Bild unserer Zukunft also, für das wir uns begeistern und mit dem wir dann auch andere mitreißen können.

„Kinderlachen ist Zukunftsmusik“, sagte Christian Wulff dieser Tage. DAS wäre, stiftete sie die gesamte deutsche Gesellschaft an, eine Vision, für die es lohnt, sich einzubringen.

Wulff ist nicht mein Favorit. Gauck wäre es auch nicht. Doch ich bin nicht gefragt.

Ich fordere aber: „Sire, gebt Visionen!“

P.S. In der heutigen Druckausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ steht übrigens ein gut geschriebenes Porträt über jenen Mann, der am Mittwoch im ersten Wahlgang durchmarschieren wird.

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