Oscar-Kolumne: Pyrrhussieg*

Jüngst. Gothas „Lindenhof“ wird für eine Veranstaltung gebucht. Alltag. Bis kurz vorm Termin öffentlich wird, wer aufläuft. Die AfD.

Die AfD, die 2013 Prof. Bernd Lucke als Anti-Euro-Partei gründete. Die AfD, die heute eher sammelt, wer diese Demokratie ändern, abschaffen will.

Dabei erlaubt diese Demokratie der AfD ihr Tun und Tönen. Deshalb konnte 2014 jeder zehnte Thüringer, der von seinem Grundrecht Gebrauch machte, die AfD in den Landtag wählen. Wes Geistes Kind Thüringens AfD-Vorsteher Höcke ist, war da schon klar: Es ist ein lupenreiner Rassist, ein völkischer Rechtsaußen, ein Demagoge.

Logisch also der Aufruhr in Gotha, in Sozialen Medien, unter politisch Interessierten. Einige von ihnen mobilisieren, rufen zu Protesten auf. Und zum Boykott.

Doch nicht die AfD, sondern das Hotel und sein Direktor Olaf Seibicke stehen im Fokus. Er mache „geistige Brandstifter salonfähig“. Bringe „Schande“ über die Stadt etc.

Seibicke sagt ab. Weil er Verantwortung seinen Gästen gegenüber habe und um deren Sicherheit sich sorge. Das gelte auch für sein Team – zu dem Menschen aus vier Nationen gehören.

Seibicke macht aber auch klar: „Nach meinem Verständnis sind öffentliche Auseinandersetzungen mit politischen Standpunkten gewählter Parteien sinnvoll.“ Der Termin in Gotha wäre dafür Chance gewesen. Mit „Druck von der Straße – egal, aus welchem politischen Lager“ sollten politische Differenzen nicht ausgetragen werden.

Nun beherrschten Höcke und Petry mehrfach öffentliche Bühnen mit rhetorischen Finten. Sich ihnen deshalb nicht zu stellen, ist aber ein Armutszeugnis. Haben wir „Gutmenschen“ nicht die besseren Argumente?

Prompt nutzte die AfD ihre Absage. Sie war für Höcke ein „Frontalangriff auf die Demokratie“.

Recht hat er! Denn es geht um Grundrechte, die Bürgern als „beständig, dauerhaft und einklagbar“ dem Staat gegenüber garantiert sind. Sie gelten auch aufs Verhältnis der Bürger untereinander. Finden sich in den ersten neunzehn Artikeln des Grundgesetzes.

Artikel 8 garantiert Versammlungsfreiheit. Für JEDEN in diesem Land. „Auch für Doofe“, wie ein Spötter auf Facebook mit Blick auf die AfD schrieb. Und das ist gut so.

Politische Auseinandersetzung hat mit politischen Mitteln zu erfolgen. Ohne Gewalt – physische wie psychische. Gewalt – egal welch politischer Couleur – ist abscheulich. Und nie Mittel zum Zweck, wie jetzt in Leipzig behauptet wird.

Verbale Gewalt verseucht aber auch Diskussionen, Foren, das Internet. Beängstigend, wie schnell Umgangsformen verloren gehen.

Jemand, den ich schätze, verteidigte die scharfe Attacke aufs Hotel und Seibicke mit einem Tucholsky: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ (hier der ganze Text aus der „Weltbühne“, 1921).

Sicher hätte Tucholsky „Nein“ zur AfD gesagt. Genauso sicher aber auch „Nein“ dazu, wie in Gotha diese Auseinandersetzung ausgetragen wurde.

Höcke & Co. wurden nicht besiegt. Verloren hat die Demokratie.

(erweiterte Kolumne, veröffentlicht im “Oscar am Freitag”, Ausgabe Gotha, am 18. Dezember 2015)

*Der Molosser-König Pyrrhus von Epirus marschierte 279 v. Chr. mit 25.000 Mann in Italien ein. Nach mörderischer Metzelei obsiegte er zwar über die Römer. Einem Vertrauten aber sagte er: „Noch so ein Sieg und wir sind verloren!“ Seither macht das geflügelte Wort vom „Pyrrhussieg“ die Runde. Es meint einen zu teuer erkauften Erfolg.

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