Oscar-Kolumne: Macht und Ohnmacht

Ballstädt. Vermummte prügeln eine Kirmes-Gesellschaft krankenhausreif. Alles spricht dafür, dass dies „Vergeltung“ war. Von jenen Rechten, die seit kurzem im Dorf ihr kleines „Führerhauptquartier“ haben. Der Kauf des Hauses erregte Aufmerksamkeit. Und manche so sehr, dass sie bei Nacht & Nebel den ersten Stein warfen, Worte des Widerstands an die Wände sprayten …

Fast zeitgleich auf Facebook: Eine Debatte um Asylbewerber, die in Waltershausen ein vorübergehendes Zuhause finden sollen, läuft aus dem Ruder. Der Bürgermeister wird angepöbelt, die üblichen „Auländer raus!“-Parolen nachgebetet, offen zur Selbstjustiz aufgerufen …

Die Schweiz, kurz zuvor: Eine hauchdünne Mehrheit sorgt in einer Volksabstimmung für eine drastische Begrenzung des Zuzugs in die Eidgenossenschaft. Nur die Rechtspopulisten triumphieren …

Was haben diese scheinbar völlig voneinander isolierten Ereignisse gemein?

Sie zeigen, dass ein 203 Jahre altes Bonmot immer noch aktuell ist: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. – Toute nation a le gouvernement qu’elle mérite.“

Der gern zitierte Satz entstammt einem Brief, den der französische Diplomat Graf Joseph Marie de Maistre (1753-1821) schrieb. 1811 war das, als der erklärte Gegner der Französischen Revolution als Gesandter Sardiniens in der damaligen russischen Hauptstadt Sankt Petersburg lebte.

Ballstädt, die Facebook-Debatte, die Schweiz – diese Geschehnisse erkühnen mich, Maistres weise Worte neu zu sortieren: „Jede Regierung hat das Volk, das sie verdient.“

Nun taugen Verallgemeinerungen wie „das Volk“ in der Regel nicht. „Das Volk“ gibt es ebenso wenig wie „den Leser“ oder „die Politiker“.

Oder doch? Denn „Otto und Erna Normalbürger“ existieren schon. Es sind Du und ich, unsere Nachbarn, Freunde und Kollegen. Und diese Durchschnittsmenschen sind geprägt von dem, was Regierungen unternehmen – oder unterlassen.

Und unterlassen wird derzeit viel. Viel zu viel, finde ich.

Unterlassen wird, Politik zu erklären. Ich meine, nicht darüber berichten zu lassen oder salbungsvoll und inhaltsleer zu reden.

Ich meine, tatsächlich zu erklären: „Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum?“ Die Macher der „Sesamstraße“ waren clever, nicht? Sie befeuerten die Neugier der Jüngsten und machten Mut zur eigenen Meinung: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“

Dumm nur, wenn selbst einermeiner, der schon aus Berufsgründen gern und viel fragt, sich trotzdem für dumm verkauft vorkommt:

Ich verstand und verstehe die Europa-Politik nicht. Nicht die der ersten schwarz-roten, noch die der „Tigerenten“- und erst recht nicht die der aktuellen großen Koalition.

Ich bin nicht sicher: Bewahren diverse Rettungsschirme den Euro vorm Untergang oder bloß die Großbanken und deren Aktionäre? Stehen am Ende nicht doch nur die Steuerzahler, die so oft zitierten „kleinen Leute“, im Regen?

Ich muss mich auf mein Bauchgefühl verlassen, ob fast 20 Mio. Euro für ein Stadtbad wirklich „günstig“ und gut angelegtes Geld sind, ob ein wie auch immer aussehender „Glitzerpalast“ tatsächlich ein Jungbrunnen für Gotha ist.

Nicht nur Frau Merkel bleibt viele Erklärungen schuldig.
Nicht nur aus Brüssel hört man in weiten Teilen Unverständliches.

Auch im direkten Umfeld mangelt es mir am Bemühen, Politik so transparent zu vermitteln, dass unsereins ausreichend informiert ist.

Wenn Wissen Macht ist, dann schafft Unwissen Ohnmacht.

Das zeigen die jüngsten Ereignisse in Ballstädt, auf Facebook und in der Schweiz.

Seit Dezember 2002 erscheint im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

 

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