Oscar-Kolumne: Gemein(d)e Verschlusssache

 

Ich habe einen neuen Helden. Tilo Jung. Jahrgang 1985, gebürtig in Malchin, Journalist. Seit 2013 sich unbedarft gebender Reporter mit „Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte“.

Jung ist der Bursche. Naiv nicht. Zu erleben dreimal die Woche. Wenn er die Regierungspressekonferenz aufmischt. Montags, mittwochs und freitags laden dazu jene Journalisten ein, die für deutsche Medien Bundespolitisches berichten. Rund 900 Parlamentskorrespondenten sind das, die einem Verein angehören. Etwas irritierend heißt der „Bundespressekonferenz“ (BPK). Gast der BPK sind an jenen drei Tagen jedenfalls die Pressesprecher der Bundesregierung und der Ministerien. Die müssen nach kurzen Statements den Journalisten Rede und Antwort stehen. Müssen – denn die BPK-Mitglieder haben Fragerecht.

Wie Tilo Jung, der seit 2015 regen Gebrauch davon macht. Sein Credo: „…zu informieren, wie die Bundesregierung informiert“. Die Mitschnitte davon sind Realsatire. „Die Anstalt“ oder die „heute-Show“ muten dagegen an wie ein kuscheliger Stuhlkreis.

Jung will der Politikverdrossenheit Paroli bieten. Glaubt: „Die Medien sind politikverdrossen, weil sie kein Interesse mehr haben, Sachverhalte erklärend darzustellen.“

Mir ist das zu pauschal. Es gibt nicht „die Medien“.

Tendenziell gebe ich ihm aber Recht. Vor allem vor Ort: Hintergründiges aus Kreistag oder den Stadt- und Gemeinderatssitzungen gibt es kaum zu lesen.

Gut, ich kann ja hingehen. Die Sitzungen sind öffentlich. Kann mich vorher informieren, worum es geht. Steht alles online. Muss man nur die Ratsinformationsysteme für Gothas Stadtrat und den Kreistag finden.

Was’n aber, wenn mein Zeitplan und der der Kommunalparlamente nicht synchron sind? Dann habe ich die (Lese-)Brille auf. Hoffe auf die lokalen Platzhirsche der schreibenden Zunft. Immer noch. Auch wenn oft ein Hahn anderen Themen den Rang abläuft. Alternativen gibt’s keine.

Oder doch?

Sitzungen des Bundestages werden live übertragen, stehen dann in der Mediathek. Auch der Thüringer Landtag sendet live.

Lokal hat’s keinen Kanal. Ausgerechnet hier. Hier, wo nun wirklich Politik gemacht wird, die JEDEN direkt betrifft. Völlig unverständlich.

Solch „Gotha TV“ würde für Transparenz sorgen. Auch, wenn nicht Hitchcock Regie führt. Das sahen auf Nachfrage auch Fraktionschefs in Stadtrat und Kreistag so.

Spielverderber in Sachen „Parlamentsfernsehen“ ist ausgerechnet Thüringens oberster Datenschützer, Dr. Lutz Hasse. Seine Position: Solch Übertragung mache „Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes“ personenbezogene Daten zugänglich und sei deshalb nicht zulässig. Zulässig hingegen wäre es, berichteten Medienunternehmen. Das hat z. B. der Stadtrat Erfurt in seiner Geschäftsordnung so geregelt. Schraps hat den Hut verloren.

Was ich davon halte?
„Ein Teil dieser Antwort würde die Bevölkerung verunsichern.“

(Kolumne, veröffentlicht im “Oscar am Freitag”, Ausgabe Gotha, am 27. Mai 2016)


P. S. vom 27. Mai 2016:
Auch der am 24. Mai veröffentlichte 11. Tätigkeitsbericht (S. 155 ff.) des Datenschutzbeauftragten gibt keine andere als die bekannte Auskunft.
Bemerkenswert aber folgende Passage: „Da der TLfDI Verständnis für das Ansinnen der Kommunen hat, die Arbeit in den Gemeinderatssitzungen noch transparenter zu gestalten, hatte er bereits im Jahr 2013 einen Gesetzentwurf zur Änderung der ThürKO zwecks Verbesserung der Transparenz von Gemeinderatssitzungen ausgearbeitet. Weder in der abgelaufenen 5. Wahlperiode noch in der im Jahr 2014 begonnenen 6. Wahlperiode hat der Thüringer Landtag die Vorschläge des TLfDI zur datenschutzkonformen Live-Übertragung von Stadtratssitzungen im Internet aufgegriffen und die ThürKO entsprechend angepasst. Der TLfDI wird daher zu gegebener Zeit erneut seine Vorschläge zu dieser wichtigen Thematik an die Fraktionen des Landtags übermitteln.“

 

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