Oscar-Kolumne: Essen – der Sex des Alters

Essen ist der Sex des Alters. Selten ist Volkes Weisheit so beschönigend wie ernüchternd. Dass das hier steht, sollte aber niemanden zu falschen Rückschlüssen animieren: Ich esse schon immer gern. Wie man mir ansieht …

Und tatsächlich scheint eher in deutschen Küchen als in hiesigen Betten die Post abzugehen. Macht wenigstens die Koch-Show-Schwemme im Fernsehen glauben.

Unfassbar: Keine zwei Jahrzehnte ist’s her, da diese Nation mit großer Lust lahmende Lenden wieder zum Leben erwecken wollte!? Pionierarbeit leistete zunächst Hugo Egon Balder auf RTL, der heiße Früchtchen bei „Tutti Frutti“ (* 21. 01. 1990 – † 21. 02. 1993) präsentierte. Später durfte „Liebe Sünde“ sein und erfuhren wir, was „Wa(h)re Liebe“ ist.

Doch die öffentliche Lust an der Lust endete abrupt um die Jahrtausendwende. Ursache? Ergründete noch keiner. Aber der MDR und seine Schunkel-Zombies tragen wohl keine Schuld. Schließlich funkt der Dreiländer-Sender schon seit 1. Januar 1991.

Doch in Gotha frönt man immer noch der Fleischeslust. Sogar öffentlich. Selbst an „Touristenblutwurst“ kann man sich hier laben – entdeckt in der Auslage im „Kaufland“. (Foto 1) Die nette Verkäuferin kriegte sich fast nicht mehr ein (allerdings deshalb dann auch kein erklärend’ Wort dazu heraus), als ich fragte, ob dafür ein Touristen-Mix verwurstet würde oder aber ob es ein landsmannschaftliches Reinheitsgebot gäbe.

Ich recherchierte deshalb beim Hersteller: „Touristenblutwurst“, so schrieb mir PR-Prinzessin Franziska Schutter, sei eine traditionelle Bezeichnung für „Speck“-Blutwurst, die in Baden-Württemberg „Schwarzwurst“ oder im Kölner Raum „Flönz“ hieße. Doch was man dafür im ostbayrischen Schwandorf durch den Wolf in der gleichnamigen Firma dreht, blieb dennoch Produktionsgeheimnis der Oberpfälzer.

Allgemein bekannt in Gotha ist hingegen, dass es am Neumarkt immer wieder freitags „frisches Hirn“ gibt. Eine bestens beleumundete Firma aus Aschara bietet es an (Foto 2). Leider ist das nicht die überraschende Lösung der europäischen Finanzkrise, auch wenn man offensichtlich ratlosen Politikern zurufen möchte: Spannt keinen Rettungs-Schirm, sondern verteilt künftig Rettungs-Hirn!

Könnte Weisheit tatsächlich mit Löffeln gefressen werden, käme uns das zudem enorm günstig: 1,90 Euro das Kilo kostet diese sehr spezielle Organspende.

Und als ob nicht aller guten Dinge drei sind …

Ich schwöre bei der Weihnachtsgans von 1986, an den Folgen deren Genusses ich heute noch zu tragen habe, dass sich dieses Trio skurriler kulinarischer Besonderheiten tatsächlich rein zufällig fügte. Die komplettierende Zutat fand ich im „Delphi“, was mir dann wie das selbige Orakel vorkam. Mein Weib, bekennende und ordentliche Bier-Trinkerin, orderte griechischen Gestensaft.

Zunächst beflügelte mich schon sein Name „Mythos“ zu wildesten Wortspielen. Da mich aber weniger dessen Geschmack und mehr sein Brauort interessierte, wendete ich die Flasche. Des Etiketts ansichtig werdend, brach ich – dem Herkunftsorte angemessen – in homerisches Gelächter aus: Dieses Gebräu stammt aus Sindos, nahe Tessalonikis.

Weder der „Delphi“-Wirt noch das Goethe-Institut zu Athen konnten mir allerdings erklären, warum das Bier als „Starköl“ firmierte.

Erst meine schlaue Kollegin Anita Grasse entdeckte mir den am ehesten anzunehmenden Zusammenhang: Schwedisch und isländisch heißt Bier „öl“, norwegisch und dänisch „øl“, finnisch „olut“ …

Alles klar? Aus griechischem Blickwinkel liegt Deutschland eben eindeutig in Nordeuropa.

Na denn, Prost! Oder Vakhtanguri (griech.), Skål, (dän., isländ. und schwed.) oder Kippis (finn.)!

(Kolumne, erschienen im „Oscar am Freitag“, Ausgabe Gotha, vom 28. Oktober 2011)

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