„Oscar“-Kolumne: Lasst! Uns! Leben!

Griechenland kostet uns Milliarden. Das taten schon die Banken und Eyjafjallajökulls Aschewolke.

Westerwelle warnt vor Rot-Grün-Rot in NRW. Zu Guttenberg vor weiteren deutschen Toten in Afghanistan. Und Astrophysiker Stephen Hawking vor Aliens: Die Menschheit möge sich still verhalten, weil die – uns Menschen ähnlich – sonst kämen, um zu plündern und zu zerstören.

Willkürlich Wiedergabe aktueller Schlagzeilen. Gelesen in beiden hiesigen Tageszeitungen, zum Frühstück. Gefunden auf „Spiegel Online“, dem Nachrichtenportal, dass mich an Tagen wie diesen, an denen ich schreibtischlere, mit dem weltweit Wichtigsten aus der weiten Welt versorgt.

Doch ist es tatsächlich das, was mich betrifft, mich bewegt?

Wohl eher nicht. Deshalb, weil es meist weit weg geschieht, selten spürbar mein Leben beeinflusst und sich kaum durch meinem Zutun ändern würde.

Außerdem schwillt – gefühlt täglich! – die Flut von Informationen an.

Ein Zurück gibt es aber nicht. Nicht einmal, würden wir uns 2010 so benehmen, wie jene französischen Landarbeiter, die – um dem technischen Fortschritt Paroli bieten zu wollen – in die neumodischen Mäh- und Dreschmaschinen ihre Holzschuhe (französisch: sabot) warfen.

Wohl kann der Einzelne „Sabotage“ am Informations- und Kommunikationszeitalter betreiben: Verweigerung geht immer. Und selbst wenn uns „Ossis“ bundesdeutsche Richterrobenträger keinen Status als eigenen Volksstamm zubilligen: Hier beherrscht(e) man besonders gut die Kunst, sich in private Nischen, auf Datschen und in verschworene Freundeskreise zurückzuziehen.

Das hatte natürlich zunächst andere Gründe.

Dass das sich aber heute nicht mehr so ausgeprägt, bedauert schon wieder mancher.

Ab und an hocke ich in meiner Lieblingskneipe. Schon beim Reinkommen heißt es: „Und? Was gibt’s Neues?“ Denn außer Speis’ und Trank handeln Wirtsleute eben auch mit Nachrichten, Klatsch & Tratsch.

Der Soziologe Christian Schuldt spricht letzterem gar zu, „Motor der menschlichen Evolution“ zu sein. Denn geklatscht wird in kleinen Gruppen, im sozialen Netzwerk en miniature quasi.

Deshalb tue man das seit Menschengedenken. Von den alten Ägypter ist Klatsch in Hieroglyphen überliefert. Im Mittelalter wurde an Waschplätzen schmutzige Wäsche (!) gewaschen. Unsere Vorfahren trafen sich am Brunnen vor dem Tore, unterm Lindenbaum. Dort – beim Wasserholen – funktionierte die Nachrichtenbörse. Man wusste voneinander und übereinander Bescheid. Das verband.

Trotz Internet, Radio, Fernsehen, Tageszeitung, Telefon und Fax kennen wir heute manchmal nicht einmal mehr den Namen unseres Nachbarn.

2007 gaben Aschenbrenners ihr kleines, kuscheliges Waltershausen für das aufregende, pulsierende (Groß-)Stadtleben in Gotha auf. Wir landeten im niedlichsten Dorf in Gotha-City – im „Mönchelshof“. Damals lobpreiste ich an dieser Stelle die wiederholt stattfindenden Hof-Partys. Doch nachdem Frank, der ungekrönte Grill-König, samt Familie fortgezogen ist, droht die schöne Tradition einzuschlafen.

Hoffnung macht, dass wir Nachbarn uns vor kurzem bewiesen, dass wir immer noch schön spontan sein können. Ich lernte dabei übrigens ganz nebenher – durch raffinierte Anordnung verschiedensten Grillgutes und dem strikten Verfolgen des davon vorgegebenen Zeitregimes – auf meinem kleinen „Thüros“ und seinen 1.225 Quadratzentimetern Rostfläche zwei Dutzend hungrige Mäuler zu stopfen. Nebenbei rückte später an diesem immer noch sehr frischen Samstagabend die Nachbarschaft auf und kuschelte um meinen wohlig-warmen Arbeitsplatz.

Apropos heiß: Der isländische Name „Eyjafjallajökull“ bedeutet gut deutsch „Inselberge-Gletscher“. Seine Südflanke und die dortigen kleineren Berge zu Fuße des Gletscher heißen „Eyjafjöll“ – deutsch „Inselberge“.

Kommt einem das ach so ferne Island nicht plötzlich ganz heimisch vor?

(Kolumne für „Oscar am Freitag“, Ausgabe Gotha, erschienen am 30. April 2010)

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