Nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir?

(Foto: Anne Garti/pixelio.de)

„Non vitae, sed scholae discimus – Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.“

So sprach Seneca und hatte damit im Sinn, die römischen Philosophenschulen seiner Zeit zu kritiseren. Schlaue Menschen drehten dem Römer das Wort im Munde um und deshalb ist die Spiegelversion: „Non scholae, sed vitae discimus – Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ viel geläufiger.

Trotzdem ist der Original-Seneca auch nach fast 2.000 Jahren aktuell. Denn nach wie vor ist es eine der größten Herausforderungen und wunderbarsten Aufgaben der Welt, kleine Erdenmenschlein auf dem Weg ins Erwachsenwerden zu begleiten. Eltern suchen voller Liebe, Euphorie und mit großen Plänen im Lebensrucksack nach dem besten Bildungs-Weg für die Lütten. Schon die Wahl des Kindergartens gleicht einer Mammutaufgabe.

Der Traum aller Mütter und Väter: Hochmotivierte, zur Erzieherin geborene Frauen kümmeren sich in einer unendlich liebevollen Art und Weise um die Kleinen. Dafür gibt es wunderbarerweise zahlreiche Beispiele, wie ich seit vielen Jahren durch meine Arbeit u. a. für die AWO in Saalfeld kennenlernen durfte.

Die vier bis fünf Jahre bis zur Einschulung werden genutzt, um Jungs und Mädels fit für die Schule zu machen. Den kleinen Hosenscheißern sind am Ende der Kindergartentage alle Kräutlein bekannt. Im Zahlenland haben sie spielend erste Bekanntschaft mit der Mathematik gemacht. Sprache, soziales Verhalten, Kreativität, gesunde Ernährung und Lebensweise mit viel Bewegung – das sind erfreulich oft Eckpfeiler frühkindlicher Bildung.

Dann kommt große Tag: Voller Vorfreude, Elan, strotzendem Selbstbewusstsein mit schickem Ranzen und prall gefüllter Zuckertüte startet der neue Lebensabschnitt. Lesen wollen die Schulanfänger können, die Zahlen besser kennenlernen, alles über ihre Umwelt erfahren. Neugier ist der schönste Antrieb, den Kinder haben.

Aber die Ernüchterung ist oft groß …

Aus täglicher stundenlanger Bewegung wird Stillsitzen. Frontalunterricht.

Aus kreativem „Ich entdecke die Welt!“ wird Unterrichtseinheitsbrei.

Aus „Ich erarbeite mir die Zahlenwelt“ wird „Ich pauke das Einmaleins auswendig“.

Aus einem liebevoll gedeckten Tisch wird die Schulkantine mit hastig heruntergeschlungenem Essen.

Wissbegierige Kinder sind als Streber unter Gleichaltrigen verpönt. Sensibelchen kassieren Prügel auf dem Schulhof. Kinder, die es früh und früher nicht erwarten konnten, in den Kindergarten zu kommen, warten als Schüler nur noch auf die Ferien.

Das Schönste an der Schule sind die Pausen und die gemeinsame Zeit mit Freunden.

Ich übertreibe?
Vielleicht!

Aber wie viele Kinder kennen Sie, kennt ihr, die gerne in die Schule gehen?
Wie viele Kinder lernen aus eigenem Antrieb?
Wie viele Lehrer schaffen es, die natürliche Neugier von Kindern, ihren unbedingten Willen, die Welt zu verstehen, aufzugreifen?
Wie viele Schulen unterrichten nach den neuesten pädagogischen Erkenntnissen?
Wie viele Schulen bereiten auf das wirkliche Leben vor – auf Mitmenschlichkeit, ein Miteinander, auf Konfliktlösung, gesunde Lebensweise?
Wie soll ein Kind lernen, wenn es nie lernt zu lernen, weil für solche Projekte keine Zeit ist?

Fragen über Fragen.
Und Seneca im Ohr: „Non vitae, sed scholae discimus – Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.“

Quelle: (1) (epistulae morales ad Lucilium 106, 11-12)

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