Wort zum MUTwoch (24): Träume

Ein kleiner Hosenscheißer noch, schon aber ein großer Klugscheißer: So war ich damals. Da trug ich Lederhosen. Weil – sie waren praktisch. Und dachte im Traum nicht daran, dass irgendwann ein kleines, rot befelltes Etwas – an einem März-Sonntag 1989 zur Welt kommend -, heute einen tierhautbehosten Bayern-Buam zum Liebsten hat.

Ein kleiner Träumer und trotzdem ein großer Klugscheißer. Das war ich. Und voller Wünsche. Dem vom luftbereiften Roller etwa …

Erinnern Sie sich noch Ihrer Träume?

Lokführer – ein Dampfrossbändiger. Das war meiner. Es war in den späten 1960er-Jahren. Zuckertütenerfahren stand ich in Hoyerswerda. Jahrzehnte, bevor dort der Plattenbau brannte. Auf’m Bahnhof stand ich. Und träumte mich in die Ferne. 2 m hoch und rotfarben reckten sich die Treibräder der Baureihe 01. Für einen Siebenjährigen gewaltige Ausmaße. Und als sie sich – erst langsam, dann immer schneller – über die Doppelstahl-Adern des Gleises wegkugelten, wurde mir klar: Wer wartet, dass seine Träume wahr werden, wartet vergebens. Man muss seinen Pops hoch bekommen und zusehen, dass man zusehen kann – überall und immer. Um seine Träume wirklich werden zu lassen.

Also zog einer los, die Welt zu ergründen …

Und heute? Wie ist es da so? Ein großer Hosenscheißer, weil nur selten nur noch Klugscheißer: Das Leben hat Schmisse ins Gesicht gehauen. Ins Herz sowieso. Aber die sieht ja keiner.

Dann kommt unweigerlich auch eben jener Tag, an dem man seine Gössel zählt. Eines, zwei, dreie, viere, fünfe … Das war’s, wirklich? War es das wirklich schon?

Und man erinnert sich:
In jungen Jahren hat man den Mut des Ahnungslosen. Im höheren Alter zeigt man sich ahnungslos darüber, wie man mutiger sein kann. Und wenn später ein paar Jahre mehr den Buckel krümmen, weicht die Ahnung darüber, was man mit Mut und willig hätte richten können, der Gewissheit, dass ein bisschen Mut noch mehr Mut macht, mutiger zu sein.

Auch ohne Rotwein.

Aber ich gehe jetzt, um einen Nero d’Avola zu holen und ihn dann seines Lebensgeists zu entleiben.

Jüngst, im vorigen Jahr, als ich beim „Dinner for one“ im Kulturhaus war, hatte ich eine Vision; eine schreckliche. Da hatte man Knut das Fell über die Ohren gezogen und ihn (also seinen Pelz) resp. es (demnach die Haut, die seinige) als Stolperfalle für bourgeoise Butler drapiert. Politisch mag das ja korrekt sein: Friede den Hütten; Krieg den Palästen! So sozial kann demokratisch sein … Dennoch argwöhnte ich tieferen Sinn, habe ihn dann aber verSCHLUDERT bei weißem Wein und auch einem roten.

Wer kann sich noch ans Musical „Der kleine Horrorladen“ erinnern, der Mitte der 1990er-Jahre im Kulturhaus lief? Damals, als der Broadway in Gothas Friedrichstraße seine Verlängerung fand?

Da hatte ich unter anderem den Traum, dass Gotha aus seiner unterwürfigen, rückwärts gewandten, aus Traditionen sich labenden Selbstbeweihräucherung befreien könnte.

Damals träumte ich von der kopfgrößeren Pressetante des Ensembles, dürr und flachbrüstig wie die berühmte Bohnenstange …

An all das musste ich heute denken: Oben, auf dem Dach, der Terrasse der Dach­geschosswohnung im Siebleber Wall 8. Auch ein Traum, die Wohnung. Traumhaft der Ausblick. So traumhaft wie der Preis dafür.

Meinen luftbereiften Roller vermachte ich meinem Halbbruder. Der schrottete das Teil. Irgendwann landete das Ziel aller Begierde in der Werkstatt.

Weil damals, als ich träumte, wir in einer Zeit lebten, da wurde nicht gleich alles weggeschmissen, was nicht mehr funktionierte.

Da wurde repariert.

Roller.
Herzen.

Und Träume.

Mittwochs gibt es seit 29. Februar 2012 “Das Wort zum MUTwoch” im thueringen-reporter.

Außerdem erscheint seit Dezember 2002 im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne – “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

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