Das Wort zum MUTwoch (89): Nichts zu rügen an Rügen

Der MUTwoch heißt MUTwoch … – genau; weil er Mut machen soll.
Und ich will heute Mut machen.
Mut dazu, einfach mal den Stecker zu ziehen und sich was Gutes zu tun.
Zum Beispiel, ist man reif ist für die Insel:

Rügen gehört meine große Liebe.
Große Lieben halten ein Leben lang – und über große Distanzen.
Sie sind zudem beständig – selbst zu Zeiten, in denen man einander nicht nah sein kann.

Dann und wann muss es aber unbedingt wieder sein.
Dann, wenn Sehnsucht und Trennungsschmerz zu groß werden.
Dann muss man sich einander hingeben.

So ging es mir dieser Tag. Fast 13 Monate war es her, dass ich via Strelasund-Brücke wieder nach Hause gefahren war. Zuvor gab es – ein wesentliches Ritual – das letzte Rüganer Original-„Bismarck“-Fischbrötchen. Als herzhaften „Scheidetrunk“.

Jetzt war November. Also Nebensaison.
Das hat Vorteile:

1. Überrennen in saisonalen Wellen Fremde ihr lieblich’ Eiland wie dereinst die Eiszeit-Eismassen, macht das Rüganer normalerweise wortkarg bis sprachlos. Sie sind wohl bescheiden – die wahren Kommunikations-Schwaben: Vom Sprech-Durchfall befallen, erlebte ich hier noch keinen. Macht sich aber der Homo sapiens touristicus rar, gibt es einen wundersamen Wandel. Die Eingeborenen honorieren dies, zügeln weit weniger ihr überschäumendes norddeutsches Wesen. So viel Freundlich- und Redseligkeit ist sonst nicht.

2. Nebensaison heißt allerdings nicht ein Unmaß an freier Unterkunft. Die Insel verfällt zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember in einen eigentümlichen Dornröschen-Schlaf: Ferienwohnungen sind zuhauf „belegt“, gleichwohl nicht bewohnt. Deshalb, weil in der Nebensaison halt auch Nebensaison-Preise gelten. Betonierte Bettenburgen füllen mit Mega-Rabatten ihre Zimmer. Da geht schon für 40 Euro die Nacht samt Frühstück was. Bei solcher Konkurrenz lohnt es für Familienbetriebe nicht mehr, das Bett aufzuschütteln. Also machen die Insulaner selbst Urlaub. Zum Beispiel in Thüringen.

3. Rüganer sind entweder Gastfreund. Oder Gastwirt. Daher sind dann auch etliche Speisewirtschaften im Ruhestand. Oft selbst jene, die diverse Reiseführer anpreisen. Muss man also suchen und sich nach dem Blick auf die Speisekarte auf den Bauch verlassen, bevor man sich auf den Bauch verlassen kann. So wird ein Nebensaison-Trip ein kulinarisches Abenteuer.

Nach fünf Tagen kann einermeiner aber nicht klagen:

-> Die „Gaude Stuv“ in Baabes „Villa Fröhlich“ (www.villa-froehlich.de) war zweite Wahl, den der gelobte Spanier nebenan hatte geschlossen. Der Eintritt in die „Stuv“ war ein Zeitsalto rückwärts. Die sehr rustikale Innenausstattung weckte Erinnerungen an die 1970er-Jahre der DDR. Wer sich aber nicht schrecken ließ, wurde verwöhnt: Zur Begrüßung kam „De Mönchguter“ vorbei – würziger Heringssalat auf krossem Kartoffelpuffer. Auch das in Wirsing gehüllte Seelachs-Filet mit Dill-Senfsauce und Herzogin-Kartoffeln – als „Fischroulade“ auf der Speisekarte ausgewiesen – war lecker. Das galt ebenso für die Matjesfilets nach „Seemannsart“, die in Gesellschaft von Speckbohnen und Bratkartoffeln auf den Teller kamen.

-> Des Sonntags Abend lockten Hotel samt Gasthaus „Zur Linde“ in Middelhagen (www.zur-linde-ruegen.de). Man wirbt, seit 1450 Schänke und somit die älteste der Insel zu sein: Der Küche merkt man seinen Ursprung nicht an. Das selbstgebraute naturtrübe Landbier schmeckt ungewöhnlich. Es scheint leicht salzig. Wohl auch deshalb, weil es – wie alle anderen Speisen dort – mit belebten Wasser nach der Grander-Methode zubereitet wurde.
Die Auswahl aus der Liste der Leckereien fiel schwer; so viel Verheißungsvolles war aufgeführt: Schlussendlich löffelten wir gemeinsam eine „Mönchguter Fischsuppe“ aus, die schon mal satt Fleisch vom Flossengetier enthielt und ausgewogen gewürzt war. Den Matjes aus dem Rauchöl mochte ich deshalb besonders, weil er noch Biss hatte und nicht gar zu salzig war. Dafür mäkelte ich ein wenig wegen der Bratkartoffeln. Da bin ich eh eigen – was familiären Hintergrund hat. Braties aus gekochten Kartoffeln mag ich nicht so sehr – vor allem dann nicht, wenn sie schon fast von alleine auf der Zunge zerfallen. Gemundet hat auch die Fischplatte „Fliegerberg“, die Lachs-, Zander- und Dorschfilet bot. Deren eigene Note musste zwar ordentlich gegen die Kräuterkruste ankämpfen, obsiegte dennoch.

-> Der Montag: Rechte Lobeshymnen singt man ihr: „Zur Kajüte“ in Sellin ist ein anerkannter Tipp. Wenn die „Kajüte“ aufhat. Hatte sie aber nicht, als wir davor standen. Hunger macht aber böse. Und der Hunger war groß: Wie jedes Mal auf Rügen, war eine ausgiebige Foto-Safari rings ums nördlichste Eck der Insel absolviert. Deshalb wurde nach kurzem Zögern auf der gegenüberliegenden Straßenseite das „Achtern“ in der „Villa Elisabeth“ geentert (www.hotel-elisabeth-sellin.de). Nach dem „feurigen Fischtopf“, dem Paprika und Champignons eine pikant-würzige Note gaben, machte ich mich über die Spezialitätenplatte vom Hering her. Die bot Matjesfilet (mit einem verzichtbaren Dressing), Brathering, Rollmops, oberleckerem Heringssalat (beinahe wie der meiner Mama, der Silvester erst zu Silvester machte …) und Bratkartoffeln (super!). Die „Piratenfischplatte“ mit gebratenem Zander, Seelachs und Rotbarsch samt frischem Salat und Bratkartoffeln war ebenfalls delikat. Besonders zu schätzen wusste meine durchgefrorene Begleitung auch den Sanddorn-Glühwein.

-> Letzter Tag auf Rügen: Eine Tagestour nach Prora, durch die Ausstellung zum KdF-Seebad und über das Areal steckt in den Knochen. Erster Winter-Graupel machten den Tag zuweilen höchst ungemütlich. Zwei Saunarunden erwärmten die kalten Knochen. Das Mahl im Restaurant des Baabener Hotels „Solthus am See“ (www.solthus.de) sollte Belohnung sein. Verbunden mit der Hoffnung auf den kulinarischen Höhepunkt, denn die aufmerksame Gastfreundschaft hier ist vorzüglich.
Die Speisekarte ist kurz und knackig. Kein Zeichen dafür, dass die Küchen-Crew eine faule Bande ist. Im Gegenteil. Eher signalisiert das – hier wird frisch und engagiert gekocht.
Und so ist es auch: Die dritte Fischsuppe als Vorspeisen ist genial. Der „Anglertopf“ verhieß
„Meeresfisch & Früchte im Küstennebel“. Genau so kam er daher: Alles mit Biss, sympathisch gewürzt und mit deutlich-vornehmer Anis-Note.
Dann folgte Zander auf rotem Linsen-Speckgemüse (Linsen sind so unterschätzt!) und Schnittlauch-Kartoffelcréme sowie Rumpsteak (medium wie gemalt) vom hiesigen Weiderind mit Wald- und Wiesenzwergen, einer Backkartoffel mit Röstzwiebelcréme und Landmilch-Aioli.
Die finale Lustbarkeit bildeten zum einen der Käsestrudel (Blätterteig mit Gorgonzola-Füllung als Bonbon gestaltet) mit Birnen und Feigensenfsorbet und der „Schokoladenkuchen mit Zimtsauce und Orangeneis“. Jeweils als Drei-Gänge-Menü geordert, das 29 Euro kostete und so wahrlich einen verlockenden Preis hatte. Nach Karte hätte man für die einzelnen Speisen in summa 78,90 Euro gezahlt. Passend und ausgewogen: Ein 2011er Cabernet Sauvignon aus dem Languedoc und der 2010er Sauvignon blanc aus gleicher Gegend sicherten einen feucht-fröhlichen Abgang.

Mancher wird sich fragen: 1.300 km dafür fahren? Bei dem Wetter? Für fünf Tage.

Klare Antworten:
Ja.
Immer wieder.
Und immer wieder gern.

Seit 29. Februar 2012 gibt es “Das Wort zum MUTwoch” in der

internetzeitung

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