Das Wort zum MUTwoch (75): Ost-westliche Odyssee

Bin weder Fisch noch Fleisch, nicht Bauch- noch Kopfmensch. Solche unentschiedene Bipolarität ist von Übel: Spontan bin ich selten. Sicher auch wegen schlechter Erfahrungen damit: Gehe ich planlos an etwas ran, wird’s meistens Murks.

So ein bisschen Konzept und Struktur und Grundordnung – das ist deshalb was für mich. Nicht überall. Nicht immer. Aber immer öfter.

Einen Plan B zu haben, hat mir aber auch nie geschadet. Meine Schusseligkeit beschert mir schon (un)vergessliche Momente.

Und dann mache ich seit einer gefühlten Ewigkeit das erste Mal zwei Wochen Sommerurlaub. Eigentlich wollte ich ganz weit in den Osten, auf die Kurische Nehrung. Nach Nida. Manns Sommerhaus anschauen und nach familiären Wurzeln forschen.

Erstes Hindernis: Der kürzeste Weg dahin, keine 1.200 km weit, führt durch die Region Kaliningrad. Will man das, braucht man ein Visum. Hatte ich verpeilt. Dafür war dann die Zeit nicht mehr.

Gut. Dann macht man eben einen 300-km-Bogen um die russische Enklave. Dachte ich. Spontan-Spaßhaber hätten sich ins Auto geklemmt und wären losgefahren. Ich wollte mir mindestens ein Dach überm Kopf sichern. Vor Ort – keine Chance. Auf dem Weg dahin – sauteuer trotz Trivago & Co. Wen wunderst’s, wenn man in der Hochsaison fahren will?!?

Nun ist mein größtes Sehnsuchtsziel immer das Meer. Und noch mehr Meer. Plan B bedeutete deshalb, der Sonne auf ihrem Tageslauf folgen. Auf in die Bretagne.

Warum?
Weil ich noch nie im Atlantik gebadet habe.
Weil die Bretonen einen besonderen Ruf genießen.
Weil …

Weil die Neugier siegte.

Frankreich ist mir nicht ganz unbekannt – dank eines weiblichen Abkömmlings, den das Fernweh und sonstige Süchte dorthin verschlagen haben. Ich bin wohl schon deshalb fast 50.000 km gefahren…

Das schockt mich ja grundsätzlich nicht: Anne sorgte schon in ihrem ersten Monat als Au-pair 2006 dafür, dass ich an einem Wochenende von Waltershausen über Rennes in die Nähe von Nizza fuhr und danach via bella Italia und die schöne Schweiz nach Hause. Das waren damals gleich die ersten 5.000 km.

Seit Jahren gehört ein Ausflug in die Provence zu Annehmlichkeiten meines Lebens. Nicht der nächste Weg, etwas umständlich zudem und auch kostenintensiv. Rund 100 Euro Autobahnmaut pro Tour sind immer drin.

War ich aber dort, genoss ich fast so etwas wie Heimat-Urlaub. Meine Reiseführerin war stets dabei, sprach- wie landeskundlich fit. Mein Französisch ist deshalb nicht der Rede wert. Tatsächlich nicht. Anne amüsierte sich regelmäßig, wenn ich dann doch einmal Sprechproben ablieferte…

Nun also die Bretagne. Warum auch nicht? Das Begehren danach befeuerte eine WDR-Reisereportage kurz vorm scharfen Urlaubsstart zusätzlich.

Und ich wurde nicht enttäuscht:
Welche Landschaften!
Welches Licht?
Die wild-romantische, raue und dann gleich wieder liebliche Küste bezauberte.

Ein Dutzend frische Austern am Hafen schlürfen? Mit 6 Euro ist man dabei.

Eiskalten Cidre genießen? Wohl ein Dutzend Sorten getestet und alle für gut befunden.

Zu Schnecken und Muscheln sich einen Muscadet munden lassen? Wer die Wahl hat…

Je weiter nördlich man kommt, desto eher gibt es auch Calvados. Ebenfalls jede Sünde wert.

Ich aß erstmals Rochenfilet: Das Restaurant „Les Littorines“ am Square de l’Aberic in Portsall sollte man sich merken! Auch das „Le Balafon“ in Dinard, dem „Nizza des Nordens“…

Statt süßer Crêpes den herben Charme der Landschaft aufm Teller wiederzufinden? Geht: Man bestelle eine Galette. Bretonisch heißt das aus Buchweizenmehl gemachte Teil „Krampouezhenn“. Mit Schinken und Käse und Ei und was-weiß-ich-noch belegt, ist es eine durchaus wollwertige Mahlzeit mit erstaunlicher Wandlungsfähigkeit: In Quimper gab es sie sogar als „Verpackung“ für Geflügelbratwurst mit höllisch scharfem Senf. Geil!

Nur beim Kaffee, da brühen die Bretonen keinen Unterschied zum Rest-Frankreich. Wer sprachschwach ist und „Café grande“ ordert, bekommt den eh schon dünnen Blümchenkaffee noch einmal um die gleiche Menge heißen Wassers verlängert. „Expresso ristretto“ schafft Abhilfe oder ein Café crème double bei “Brioche Dorée“.

Ich bin jedenfalls eines Morgens rund 60 km gefahren, um meinen Kaffee-Hiper in den Griff zu bekommen.

Jetzt hocke ich abends am Rechenknecht. Sichte weit über 1.300 Bilder. Süffele Muscadet. Und träume davon, bald wieder aufzubrechen und „Demat!“ – „Guten Tag!“ wünschen zu können.

Das ist ein guter Plan, auch an einem MUTwoch 🙂

Seit 29. Februar 2012 gibt es “Das Wort zum MUTwoch” in der

Außerdem erscheint seit Dezember 2002 im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

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