Das Wort zum MUTwoch (69): Aus allen Wolken fallen…

Was ist das?
Unser Leben.
Wie geht das?

Beides ist wie das Wasser. Auf dem Weg von einer Quelle, irgendwo in den Bergen, hinunter ins Meer. In die große Weite, die blaue Unendlichkeit.

Gleich zu Anfang, da vermählen sich ein paar Tropfen zu Rinnsalen. Die schlängeln sich munter über Stock und Stein. Springen, brechen sich an noch so kleinen Felsvorsprüngen, dass aus ihnen die Sonne frech aufspritzende Kaskaden flüssigen Lichts macht. Das rauscht und das fließt, das beeilt sich so unglaublich. Dieses Wasser trägt noch nicht mehr als ein Blatt, einen Zweig.

Aber das ist egal. Unbekümmert macht es sich auf den Weg. Und ist ungeduldig – als ob es nicht ein Leben lang Zeit hätte, ans Meer zu kommen.

Schafft es das Bächlein die Hänge hinab und durch die ersten Weiten, ohne dass ihn die Kräfte verlassen, es in der dürstenden Erde versiegt, macht es sich breit, wird zum Fluss. Trägt jetzt auch große Lasten, ohne zu Murren. Von rechts, von links strömen mehr und mehr Fluten zusammen. Fügen sich, mischen sich und folgen dem Pfad, den die Natur ihnen vorgab.

Zu beiden Seiten bleibt dankbares Grün zurück. Blühendes Leben, ein Zirpen und Zwitschern, lauter nun als das Rauschen, mit dem der vorwitzige Bach einst signalisiert: “Platz da, jetzt komme ich!”

Noch aber bricht manchmal das Ungestüme durch, kommt plötzlich ein ungewohnter, unerwarteter Schwall an Wellen. Von Energie. Dann spielt der Fluss mit den Muskeln – hehehe! – reckt und hebt sich über den gewohnten Pegel. Dann wollen die Wogen eigene Wege finden, erinnern sich ans frühere Springen über Stock und Stein, als der Pfad nicht allzu genau vorbestimmt war…

Das gibt sich aber schnell. Schneller jedenfalls, als dass sich der Fluss verlieben könnte in den Gedanken, sein Bett zu verlassen und auf eigene Faust die Welt erkunden zu dürfen. Trost bietet, dass seine Wasser stetig den Stein schleifen, den Sand schwemmen, das Holz treiben und die Ufer fortspülen. Ein wenig zumindest immer – und von allem. Spuren hinterlassend.

So auf eines Flusses Reise zieht träge das Ufer an ihm vorbei. Man hat gar nicht das Gefühl, vorwärts zu kommen. Und trotzdem ist plötzlich die Mündung näher als die Quelle, liegt die Hälfte des Weges hinter einem. Nein doch! Im Gegenteil: Noch hat man fast das halbe Abenteuer vor sich. Aber eines ist klar, war es immer: Diese Reise ist unumkehrbar.

Breit, gemächlich, schon ein wenig ermüdet, wälzt sich dann dies unglaublich viele Wasser, von dem jeder Tropfen eine, seine eigene Geschichte zu erzählen weiß, ins Meer. Geht auf und vergeht dort.

Aus den süßen Tropfen der Jugend werden die salzigen des Alters, voll herber Erfahrung. Vieler Erfahrungen. Ein Meer der Tränen. Der Träume.

Ein gemächlicher Abschied. Aber ein endgültiger. So vermischt mit den anderen Wassern, ist es nicht mehr möglich, dem Tropfen anzusehen, zu schmecken, von wo er kam und wann er sich auf den Weg machte.

Manchmal leckt die Sonne an der Gischt. Verspielt oder gierig. Lüstern oder fast verdorrt. Macht dann ein paar Tröpfchen federfliegenleicht. Sie steigen auf, finden sich im Dunst und werden Wolkenschafe, die der Wind vor sich her treibt.

Weit übers flache Land.

Die Hänge hinauf bis zu den Spitzen der Berge.

Dann haben die Tropfen genug von der Himmelfahrt und machen sich auf den Abstieg. Fallen aus allen Wolken.

Ein paar von ihnen verbinden sich zu Rinnsalen. Die spritzen munter über Stock und Stein, springen, brechen sich an noch so kleinen Felsvorsprüngen, dass aus ihnen die Sonne frech hoch spritzenden Kaskaden flüssigen Lichts macht…

Geschrieben – nur für mich – vor vielen Jahren, um Abschied nehmen zu können von einer guten Freundin.
Veröffentlicht heute, am 26. Juni 2013, weil wir das in Gotha von Michael Schneider tun.)

Seit 29. Februar 2012 gibt es “Das Wort zum MUTwoch” in der

Außerdem erscheint seit Dezember 2002 im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

0 Comments

  • Christina Schütze (#)
    26.06.2013

    Danke …

Comment!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert