Das Wort zum MUTwoch (68): Vermächtnis

Voriger Freitag. Ich saß mit meinem Spezi und Ober-„Oscar“ Maik Schulz auf dem Buttermarkt. Wir genossen die Sonne, die exzellenten Kaffee-Kreationen von Andreas W., schwatzten und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein.

Bis beide – fast zeitgleich – eine Nachricht bekamen. Die, dass Michael Schneider in der Nacht zuvor gestorben war. Man liest solche Botschaften. Man versteht der Worte Sinn und Bedeutung. Aber fassen kann man sie nicht…

SchneiderEs wäre vermessen, würde ich sagen, Michael Schneider und ich wären befreundet  gewesen. Aber seit ich im Oktober 1990 nach Gotha kam, habe ich immer wieder und jedes Mal gern mit ihm zu tun gehabt. Nicht nur unser annähernd gleiches Alter, sondern wohl auch unsere schier unbezähmbare Neugier auf Menschen und der unverbesserliche Optimismus begründeten ein freundliches, offenes Verhältnis.

Seine Beharrlichkeit war es, die mir Jung-Schreiberling zuerst auffiel. Die Beharrlichkeit, sich für eine Minderheit einzusetzen. Eine Minderheit, die bis dato keinerlei Öffentlichkeit hatte. Und das, obwohl sie gar nicht so klein war.

Schon beim ersten Pressetermin im damals frisch gegründeten Verband der Behinderten schaffte es Michael Schneider, mir so ganz nebenher und in aller Freundschaft sämtliche Vorurteile, mein Unwissen und auch manche Befindlichkeiten auszutreiben.

Was er anschließend hier in Gotha geleistet hat, kann man schon mit Zahlen und Fakten belegen.

Das aber würde ihm nur unzureichend gerecht werden.

Michael Schneider steht für einen Stil des Miteinanders, den ich aufs Höchste bewundere:

Er hörte zu.
Er fühlte mit.
Er wog seine Worte ab.
Er akzeptierte andere Positionen.
Er konnte trotzdem eindringlich, konsequent und fordernd sein, ging es um seine Ideale.

Dazu erhob er immer deutlich seine Stimme, ohne sie zu erheben. Michael Schneider war ein Mann der leisen Worte. Weil die am eindringlichsten sind…

Und er sah es uns „Normalos“ nach, dass wir manchmal „behinderter“ waren, als all jene, die sein oder ein vergleichbares Schicksal teilten.

Manche nennen es „Handicap“ und meinen damit politisch korrekt zu sein. Ein Wort, das Michael nicht mochte, nicht gebrauchte.

Er blieb stets dabei: Es sind Behinderungen. Behinderungen, weil Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen eben nicht uneingeschränkt einen Alltag mit allem Drum und Dran leben können. Immer noch.

Dabei störten ihn immer Bordsteine an Gehwegen weniger als jene im Denken und Handeln – ganz allgemein und jenseits von Behinderten-Politik, Inklusion etc. Weil Michael Schneider ein Freigeist war.

Verstehen wir das und nehmen es als unser aller Herausforderung an, gegen solche Barrieren in den Köpfen anzugehen, dann erfüllen wir sein Vermächtnis.

(Zum Nachhören – Michael Schneider im Radio-Talk „O-Ton“ am 20. Februar 2013) 

(Foto: Seggy Myself/“O-Ton“ vom 20. Februar 2013, Bellini-Lounge, Gotha)

Seit 29. Februar 2012 gibt es “Das Wort zum MUTwoch” in der

Außerdem erscheint seit Dezember 2002 im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

0 Comments

  • Christina Schütze (#)
    19.06.2013

    Danke. Besser könnte ich es auch nicht schreiben.

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