Das Wort zum MUTwoch (47): Armes Deutschland?

Gestern las ich auf SPIEGEL Online eine Horrorgeschichte. Da floss zwar kein Blut. Dasselbe gefror mir dennoch in den Adern. Es ging um deutsche Milliardengräber, die wir Steuerzahler zu finanzieren haben.

Nach einigen Zeilen schoss mir das Zitat Max Liebermanns durch den Kopf: „Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.“ Zugegeben – Anlass für ihn war, dass am 30. Januar 1933 vor seinem Haus am Pariser Platz der Fackelzug der Nazis vorbei marschierte. Deshalb lässt sich keine Parallele, jedenfalls keine historische, ziehen.

Zum Kotzen ist es dennoch: Elbphilharmonie, Stuttgart 21, der City-Tunnel in Leipzig, der Pannen- und Pleiten-Airport Berlin-Brandenburg (oh, armer Willy Brandt – wie musst Du auf Deiner Wolke da oben leiden …)

Noch viel mehr Unglaublichkeiten listete Alexander Demling auf.

Dafür sind Abermilliarden da. Ich mag deshalb auch gar nicht noch an die –zig Rettungsschirme für die Bankster & Co. erinnern.

Promille davon würden Deutschland zum Paradies für Kinder machen, würden sie in Kinderbetreuung, für Schulen und Bildung investiert.

Wir beklagen allenthalben die soziale Kälte, den Wegfall der familiären Bindungen. Doch wenn Kinder oft nur noch ein Kostenfaktor sind, muss das nicht wundern. Deren Lobby ist klein.

Deshalb häufen sich die tragischen Fälle, dass Paare trotz Sehnsucht aufs Wunschkind verzichten, weil sie es sich schlicht nicht leisten können. Nachwuchs zu haben und im Berufsleben zu stehen, ist kaum vereinbar. Nicht nur, weil es an Teilzeitstellen mangelt. Noch rarer sind Plätze für die Kinderbetreuung.

Die werden obendrein immer teurer. Da können sich die Gothaer glücklich schätzen, wie glimpflich es hier abging: In Lehesten (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) sollten jetzt allen Ernstes 1.000 Euro monatlich für die Betreuung von Kindern unter einem Jahr gezahlt werden. Deshalb, weil das Land über die Kommunalaufsichten Druck auf arme Städte und Gemeinden macht, quasi kostendeckende Gebühren zu fordern und entmündigt damit die Parlamente. Das Ärgste konnte zwar vermieden werden. Dennoch …

Es geht auch anders: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit beschrieb seine Stadt einst als arm, aber sexy. Und sie ist kinderfreundlich: Dort kostet seit 2011 die Betreuung in den letzten drei Jahren vor Beginn der Schulpflicht nichts. Eltern zahlen nur 23 Euro monatlich fürs Mittagessen in der Kita.

Unbenannt 1Gut möglich, dass Wowi angesichts von 62 Mrd. Euro Schulden so großzügig wurde: Berlin gibt pro Kopf seiner 3,5 Mio. Einwohner jährlich für die Kindertagesbetreuung 245 Euro aus. Damit ist die Bundeshauptstadt einsame Spitze bundesweit, wenn auch dort der Bedarf nach freien Plätzen immer noch und ebenso unglaublich groß ist. Thüringen ist Mittelmaß; hier fließen 175 Euro. Schlusslicht sind die Niedersachsen – mit 138 Euro.

Ich werde nicht dem Schuldenmachen das Wort reden. Weil dieses Deutschland in der Tat nicht „arm“ ist. Und trotzdem fände ich es sogar Klasse, wäre Thüringen wie Berlin: Arm, sexy – und kinderlieb.

Wer sich selber den finalen Brechreiz holen will, der lese hier …

(Grafik entnommen dem Flyer der Berliner Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung „Familien in Berlin“)

Seit 29. Februar 2012 gibt es “Das Wort zum MUTwoch” in der

Außerdem erscheint seit Dezember 2002 im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne – “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

Comment!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert