Klug-Scheißereien (6): E-Mail

Ich las eben, dass Twitter die nächste Schallgrenze durchbrochen haben soll: 20 Mrd. Nachrichten täglich seien demnach verschickt worden. Binnen fünf Monaten hat sich also das Aufkommen verdoppelt …

Wegen dieser Nachricht fiel mir ein, dass die E-Mail in Deutschland morgen 26. Geburtstag feiert: Am 3. August 1984 wurde in Deutschland um 10.14 MEZ die erste Internet-E-Mail empfangen. Laut Wiki und anderen bekam sie Michael Rotert von der Universität Karlsruhe (TH) unter seiner Adresse „rotert@germany“ eine Grußbotschaft von Laura Breeden („breeden@scnet-sh.arpa“). Sie arbeitete an der US-amerikanischen Plattform CSNET in Cambridge (Massachusetts), das die elektronische Kommunikation von Wissenschaftlern erforschte und praktizierte.

Heute vor 26 Jahren wurde diese Nachricht um 12:21 Uhr Ortszeit abgeschickt. Eine Kopie dieser E-Mail bekam der Leiter des Projekts, Werner Zorn („zorn@germany“), erst später. Sie lautete übrigens:

„Wilkomen in CSNET! Michael, This is your official welcome to CSNET.“
(Foto: Wikipedia/Spiegel)

Mehr dazu findet sich in diesem SPIEGEL-Online-Artikel!

Und weil wir gerade dabei sind: Heute schon gesimst? Seit dem 3. Dezember 1992 schwirren SMS durch den Äther. „Merry christmas!“ lautete die erste Textnachricht. Sie wurde vor siebzehneinhalb Jahren von Ingenieur Neil Papworth von einem PC an das Funktelefon seines Vodafone-Kollegen Richard Jarvis gesandt, der auf einer Weihnachtsparty in Newbury in England war. Ein Jahr nach der Einführung des GSM-Standards für Mobilfunk in Europa passierte das. Und seither ist die Welt eine andere.

34 Milliarden Kurz-Botschaften verschickten die Deutschen 2009. Das waren pro Sekunde rund 1.100 SMS, im Schnitt jährlich 420 pro Person, wie der Verband Bitkom mit Hinweis auf aktuelle Daten der Bundesnetzagentur Anfang Mai mitteilte.

Dass sich für die „short message“ nicht das Kürzel SM etablierte, ist einerseits verständlich, zum anderen durchaus schade. Schließlich sind manche jener Kurznachrichten durchaus sadomasochistische Vergehen – und nicht nur an der deutschen Sprache.

Wir haben gelernt, unsere Welt in 160 Zeichen zu pressen. 2007 erschien mit „The last messages“ vom Finnen Hannu Luntiala der erste Roman in „Simlisch“. Auch eine Handreichung für Lehrer, die Kryptisches wie „c u l8er“ und andere Enigma-artige Codes entschlüsselt, existiert.

Es entwickelte sich ein regelrechter Netzjargon – in SMS, Chats und E-Mails kommen die Kürzel vor. Kombinierte Interpunktions- und Satzzeichen fügen sich zu „Emoticons“ und sollen im Strich-Punkt-Code Gefühle ins Spiel bringen.

So praktisch diese knackige Kurzkommunikation auch sein kann – wir drohen trotzdem – oder gerade deshalb – sprach- und wortlos zu werden. Selbst Liebesbriefe werden heute nicht mehr versandt, geschweige denn von Hand geschrieben. Was man(n) und frau sich da entgehen lassen! Noch kann man SMS oder Mail nämlich nicht zu duftenden Herzensbotschaften machen. Nicht bloß solche unverbesserlichen Romantiker wie ich sollten das zutiefst bedauern…

Auch vorm Journalismus macht der Anglizismus-Wahn nicht halt. Es scheint, als ob die jahrelange, zermürbende Debatte um die Rechtschreibreform auch den letzten Aufrechten das sprachliche Rückgrat gebrochen hat.

Aktuelle Abituraufsätze lassen kommendes Grauen erahnen. Die Sprache der Dichter und Denker droht im Orkus zu landen. Und dass der Dativ sowieso dem Genitiv sein Tod ist, wissen wir seit Sebastian Sick. Wolf Schneider, der seit Jahren und 27 Sachbüchern das Hohelied der Muttersprache singt, gab daher mit einem seiner jüngeren Werke den unmissverständlichen Befehl „Speak German!“. Kurzweilig wie immer und zuweilen recht polemisch führt er uns unseren alltäglichen Sprachkauderwelsch vor Augen. Unbedingt zu empfehlen!

Sprache ist allemal etwas Lebendiges. Sie ist ungemein dynamisch. Einflüsse anderer Kulturkreise hat es, wird es immer geben. Dennoch ist niemand Deutschtümler, der sich um seine Mutter- wie Vatersprache sorgt! Und wer’s mag, kann gar Worte in Obhut nehmen – auf www.wortpatenschaft.de geht das.

Amüsant am Rand: Das allenthalben gebrauchte Wort „Handy“ für die kleinen Alleskönner, mit denen man immer noch auch nur telefonieren kann, mutet englisch an, ist aber allem Anschein nach eine urdeutsche Erfindung…

Übrigens: SMS ist im Original das Kürzel für „Short message system“ und meinte den Dienst zur Übertragung von Kurznachrichten. Heute steht es umgangssprachlich meist für die Nachrichten selbst. Daher führt der Duden die Abkürzung „SMS“ als Femininum; in der Schweiz und auch in Österreich ist das Neutrum gebräuchlicher.

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