Gastkommentar: Merllande, Homer oder doch ganz anders?

von Anne Aschenbrenner

Ach ja, die Wahlen im Nachbarland – das war schon so ‘ne Sache. Man hatte öfter das Gefühl, einen Mini-US-Wahlkampf zu betrachten, hörte man solch tiefgründige Argumentationen zwischen den Kandidaten wie „Sie kleiner Scheiß-Verleumder!“ (Sarkozy zu Hollande).

Aber „la Grande Nation“ hat entschieden: neuer Präsident ist der Sozialist François Hollande.  Und damit erreichte er etwas, das den Sozialisten zuletzt 1988 gelang, als François Mitterand zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde. Aber auch Nicolas Sarkozy beendete eine lange „Dürreperiode“ in der Geschichte der V. Republik: das französische Volk verweigerte vor ihm nur Valéry Giscard d’Estaing 1981 eine zweite Amtszeit.

Was mag das wohl heißen – vor allem für Frankreich, Deutschland und Europa? Eine gute Frage, würde ich meinen. So sah das offensichtlich auch die Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, die jüngst eine Podiumsdiskussion dazu mit dem Thema „Frankreich hat gewählt – Stimmen zum Wahlausgang und zur neuen Regierung“ veranstaltete.

Zu den illustren Diskutanten zählte Claire Demesmay (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik), Marcel Grignard (stellv. Generalsekretär der Confédération française démocratique du travail), der Journalist Frédéric Lemaitre (Le Monde) und Günter Gloser, Mitglied des Bundestags.

Ich, die ich Deutsche und in den letzten fünf Jahren auch immer mehr Wahlfranzösin wurde, saß im Publikum und war gespannt … Ich hatte das Geschehen jenseits des Rheins rege verfolgt, lebe seit drei Wochen mal wieder diesseitig und wollte nun sehen, was die Experten zu sagen hatten.

Konsens bestand darüber, dass Hollande kein Wunschkandidat, es also kein glorreicher Sieg, sondern ein „Lieber er als der andere“-Wahlerfolg war. Le Monde titelte am Tag der Wahl: „Il ne fera pas de miracles mais au moins, il fera mieux que le précédent !“  (Er wird keine Wunder vollbringen, aber wenigstens wird er es besser machen als sein Vorgänger!). Und dies scheint dem französischen Volk aus der Seele zu sprechen, denn laut Frédéric Lemaitre stimmten 55 % der Hollande-Wähler nicht FÜR, sondern nur GEGEN Sarkozy.

Hollande hatte es aber auch nicht leicht: Die französische Linke ist zersplittert und viele andere linke, meist viel radikalere Kandidaten, nahmen ihm Stimmen in der ersten Runde ab. Diese Stimmen musste er erst einmal für die Stichwahl gewinnen.

Größer das Problem des Abschneidens von Marine Le Pen vom rechtsradikalen Front National: mit 18 % der Wählerstimmen gelangte sie klar vor allen anderen Kandidaten der „kleinen Parteien“ auf den dritten Platz. Deren Wählerschaft war in der zweiten Runde ebenfalls stark umworben. Während Sarkozy lauthals und ohne Zögern ins Sicherheits- und Immigrantenproblem-Horn blies, blieb Hollande unbeirrt auf Kurs, was ihm Marcel Grignard in der Berliner Diskussion sehr zu Gute hielt.

Klar scheint: Die Franzosen, die – glaubt man den Diskutanten (und ich nickte innerlich nach mehrjähriger Erfahrung) – von Natur aus pessimistisch sind, haben Angst. Oder sind mindestens unsicher: Was ihre Zukunft betrifft – sei es ihre persönliche mit Arbeitsplatz und Kaufkraft oder die ihres Landes in einer EU mit strauchelnden Mitgliedern wie Griechenland und einer globalisierten Welt.

Und so erklärten die Experten auch, warum die Ablehnungsparteien rechts und links dieses Jahr in Frankreich so viel Erfolg hatten. Diese Tendenz wird sich wohl in Europa durchsetzten, so prophezeit das Berliner Experten-Team.

Und was wird nun mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit? Merkosy schien ja ein gut funktionierendes Paar zu sein … Man sollte aber nicht vergessen, so erinnert Claire Demesmay, dass Sarkozy 2007 eigentlich gar nicht mit Deutschland zusammenarbeiten wollte, sondern mit Großbritannien. Zwangsläufig – durch die Krise – wurde ihm dann aber klar, dass am rheinischen Nachbarn kein Weg vorbei führte.

Hollande indes ist sich dessen seit Langem bewusst und Günter Gloser bestätigt, dass das Team um Hollande schon jetzt mehr über Deutschland und deutsche Politik weiß, als das Sarkozy-Team je wusste. Wird Hollande dann aber auch darauf bauen? Wird er die enge Zusammenarbeit mit Merkel fortführen oder wird er sich eher an den Kopf einer Südeuropa-Koalition stellen, um an Deutschlands Führungsrolle in der EU zu rütteln?

Darüber bestand ausnahmsweise keine Einigkeit zwischen den Teilnehmern der Debatte.

Viel diskutiert ist ja die angekündigte Anstrengung Hollandes, das verabschiedete Fiskalpaket zu kippen oder wenigstens neu zu verhandeln. Lemaitre war eher pessimistisch, was die deutsch-französische Zusammenarbeit betrifft, v. a., betrachte man zum Beispiel die grundlegenden Unstimmigkeiten über die Rolle der EZB oder die Verstärkung der Integration. Themen, bei denen die Ansichten von Hollande und Merkel komplett auseinander driften.

Marcel Grignard und Claire Demesmay sahen das anders: Sie glauben in den ähnlichen Charakteren der Staatsoberhäupter eine Möglichkeit auf harmonischeres Zusammenarbeiten begründet. Beide seien Pragmatiker und zu Kompromissen bereit, so Demesmay.

Beide Experten wie auch Gloser empfehlen jedoch, dass Deutschland und Frankreich tunlichst den Eindruck bei anderen vermeiden sollten, man wolle eine deutsch-französische Führungsrolle in der EU, so wie es zuweilen Merkosy vorgeworfen wurde.

Fazit: Keiner war vom Wahlergebnis überrascht – weder in Frankreich, noch die Experten in Berlin. Niemand ist euphorisch, aber ebenso wenig zutiefst deprimiert. „Bof“ eben, wie der Fanzose sagt, was dem deutschen schulterzuckenden „naja“ ähnelt.

Ein letztes Wort galt dem scheidenden Präsidenten: Frédéric Lemaitre zitierte einen Kollegen, den Karikaturisten der Le Monde: „J’ai perdu mon meilleur client! Il a toujours fait tout le travail pour moi !“ (Ich verliere meinen besten Kunden! Er hat die Arbeit immer schon für mich gemacht!)

Na dann! Warten wir ab, was Hollande uns bringt.

Anne Aschenbrenner, Jahrgang 1987,  erwarb 2007 – 2010 ein deutsch-französisches Doppeldiplom in Geschichte und Kunstgeschichte (Bachelor) und absolvierte danach einen Masterstudiengang „Angewandete Fremdsprachen und Internationale Beziehungen – Spezialisierung auf humanitäres Hilfsmanagement und kulturelle Entwicklung“, den sie 2012 abschloss.

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