„Oscar“-Kolumne: Vielfalt adé

„Wenn ich zu wählen hätte zwischen einem Land mit einer Regierung, aber ohne Zeitung, und einem Land mit Zeitung, aber ohne Regierung, dann würde ich mich für das Land ohne Regierung entscheiden.“
Thomas Jefferson (1743 – 1826)

Ich teile Jeffersons Ansicht. Ich habe aber noch keinen Plan, was ich nach Ostern tun werde. Dann endet nicht nur die Fastenzeit, sondern auch die Ära der Presse- und Meinungsvielfalt in Gotha.

Ab 6. April ist’s für die Lokalredaktionen der TA und der TLZ vorbei mit der Phase der Freiwilligkeit, Artikel und Fotos auszutauschen, wie es seit 1. März ab und an schon der Fall war.

Das bemerkten nicht nur jene, bei denen – wie bei mir – beide Zeitungen allmorgendlich auf dem Frühstückstisch liegen. Vor Ort kennt man Namen und Gesichter jener, die das tägliche Lesefutter beschaffen. Da fällt „Fremdgehen“ auf.

Gotha ist kein Einzelfall. Auch anderenorts ist’s vorbei mit journalistischer Unabhängigkeit und konkurrierendem Buhlen um die Leser.

Ich bin sicher: Die Geschäftsführer der „Zeitungsgruppe Thüringen“ (ZGT), Schrotthofer und Jaschke, wie die Chefredakteure Raue und Hoffmeister, verkaufen uns diesen Einheitsbrei als neue Stufe des Qualitäts-Journalismus. Und damit die Leser für dumm.

Vielfalt soll bringen, dass nur noch ein Redakteur offizielle Termine absolviert. Der andere recherchiert exklusive Geschichten, die er nicht mit dem verschwägerten Konkurrenz teilen muss.

So weit die Theorie.

Aber dies Tausch-Geschäft ist nur eines von vielen, die mit großem Engagement im Auftrag der ZGT die Zentralredaktionen betreiben. Parallel entstehen in Erfurt und Weimar neue Strukturen. An „Newsdesks“ sollen alle Lokalausgaben produziert werden. Dafür braucht man Leute, die – auch wieder „freiwillig“ – aus den Lokalredaktionen kommen. Die „Ostthüringer Zeitung“ arbeitet so schon länger. Zehn Redakteure hatten OTZ und TLZ in Jena. Heute sind es noch sechs.

1 + 1 = 2. Das haben wir in der Schule gelernt. Aber aus Sicht der Pressefreiheit und Meinungsvielfalt geht diese Rechnung eben nicht auf.

Nüchtern betrachtet, wirft uns das in Thüringen um zwanzig Jahre zurück.

Als ich im Oktober 1990 nach Gotha kam, gab es fünf Tageszeitungen. Es war der helle Wahnsinn, die blanke Freude! „Konkurrenz belebt das Geschäft!“ Für keine andere als die Medienbranche ist dieser Spruch zutreffender!

1

Doch mit der Zeit wurde das Rauschen im Zeitungswald dünner: Als erste strich am 16. Mai 1991 die „Gothaer Neue Zeitung“ die Segel – am 27. Januar als Wochenzeitung gestartet und seit dem 23. August täglich erschienen. Deren Leser hatten tags darauf die „Mitteldeutsche Allgemeine“ (MA) in den Briefkasten, den seit 16. Februar 1990 in Thüringen erscheinenden Ableger der „Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA).

Am 25. November 1991 rieben sich Leser der TLZ – und Redaktionsleiter Dieter Albrecht – die Augen: Ihre Zeitung sah fast aus wie immer. Fast, denn groß und breit stand „Gothaer Tagespost“ darüber. Zeichen für neue Verhältnisse. Die „Tagespost“ – Absenker der Bielefelder „Westfalenpost“ – startete am 3. April 1990 in Gotha und Weimar wie zuvor in Eisenach, Erfurt und dem Eichsfeld. Nun die Fusion, die Übernahme des wesentlich auflagenstärkeren Traditionsblattes aus Weimar durch den Neuling.

„Tagespost“-Frau der ersten Stunde war Gerlinde Sommer, die bald nach dem TLZ-Deal die Lokalredaktion übernahm, sie bis 1998 führte und dann stellvertretende Chefredakteurin in Weimar wurde. Frank Karmeyer war hier (jetzt Chef der TLZ-Lokalausgabe Erfurt), Gerlindes Schwester Elisabeth Sommer, Urs Martin Kellner (produziert mit Magna TV für RTL) , Tilo Gräser (der heute für den Bundesverband der Volkssolidarität spricht), Alexandra Kehr (jetzt beim mdr) und Steffen Winter (heute beim SPIEGEL)

Aller schlechten Dinge waren dann drei, als im Sommer 1993 die Gothaer „Mitteldeutsche Allgemeine“ aufgab. Deren Abonnenten bekamen ebenfalls die „Tagespost/TLZ“. MA-Pioniere waren u. a. Inge Thaetner und Gerd Henke (beide heute HNA-Redakteure in Kassel), Axel Schmidt (aktuell Chef der „HNA“ in Hann.-Münden) sowie zuletzt Cornelie Barthelme (jetzt Berlin-Korrespondentin, u. a. für die „Frankenpost“).

412 Landkreise und kreisfreie Städte hat Deutschland. In über 300 erscheint nur noch eine Lokal- oder Regional-Zeitung. Jetzt also kommen noch ein paar dazu. Deutlich mehr als die Hälfte der Bundesbürger hat die freie Wahl, sich einer gedruckten Monopol-Meinung vor Ort auszusetzen oder ganz auf Zeitung zu verzichten.

Kein Wunder also, dass 2009 weniger Tageszeitungen in der Deutschland verkauft wurden als im alten Bundesgebiet vor der Wiedervereinigung.

(erweiterte Kolumne, die im „Oscar am Freitag“, Ausgabe Gotha, am 26. März 2010 erscheint)

5 Comments

Comment!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert