Das Wort zum MUTwoch: Wolllust lässt die Blicke geiler glüh’n…

Montag war’s. Und 13.07 Uhr. Da übermannte es mich. Urplötzlich tönte dieses Lied in meinem Kopf, didadudelt seither als Endlos-Schleife:

„Gullys werden leer gemacht vom Geröll der Winterschlacht.
Und genüsslich säuft die Stadt sich an frischer Farbe satt.
Tauben schlagen blaue Schneisen in den Himmel von Berlin.
Und der warme Blick der Wolllust lässt die Blicke geiler glüh’n …“


Solch Text – vom legendären Wortdrechsler Werner Karma ersonnen – erzeugt bei mir immer wieder Kopfkino vom Feinsten. Diese Strophe aus dem „Berliner Frühling“ röhrte Sillys Frontfrau Tamara Danz auf „Liebeswalzer“. 1985 kam diese Scheibe heraus, hatte quasi deshalb einen zweiten Frühling: Im Jahr zuvor und mit dem Titel „Zwischen unbefahrenen Gleisen“ (Repro) aufgenommen, ließ AMIGA die erste Pressung einstampfen.

Politbürokratische Ober-Zensoren stießen sich kurz vor Veröffentlichung nicht nur an „Tausend Augen“ – unüberhörbar eine Anspielung auf die Stasi-Überwachung. Auch der namensgebende Song „Zwischen unbefahrenen Gleisen“ und „Nur ein Lied“ wurden verboten. Während die drei Melodien überlebten, musste Karma neue Worte finden – für solche Zeilen wie „Wo die Lieder sterben, da sterb’ auch ich“. Fünf Jahre später verwehte der wendische Herbst nicht bloß die Wortklauber.

2000 brachte dann „Unionton“ das 1985er Original als CD-Silberling auf den Markt. Das geschah nicht zufällig, sondern wegen des Mannes hinter dem kleinen Label – Volkmar Andrä.

Übrigens weiß ich erst seither und seinetwegen, dass auch beim Herrn Aschenbrenner der „warme Blick der Wolllust die Blicke geiler glüh’n …“ ließ: Glaubte doch einermeiner bis dato gehört zu haben, dass Pullis – statt Karmas „Gullys“ – vom „Geröll der Winterschlacht“ leer gemacht worden sind.

Doch zurück zu Volkmar Andrä: Der hatte 1972 in Berlins Brunnenstraße 154 angefangen. Der Ort, an dem Unterhaltungsmusik für die DDR produziert wurde. Dort, im Studio B des „VEB Deutsche Schallplatten Berlin“ in Mitte, gaben sich die Stars der DDR-Musikszene ein Stelldichein: Ob nun die Puhdys, Silly, Karat, City oder Renft, Nina Hagen und Manfred Krug – wer auf Vinyl gepresst werden wollte, musste in der Brunnenstraße vors Mikrofon.

All diese Platten brachte man mit dem Namen „Amiga“ unters Volk. Und damit lässt sich abschließend der Bogen bis nach Gotha schlagen: Denn hier – im VEB Gotha Druck – entstand jedes einzelne dieser jemals in der DDR erschienenen 8.500 Cover für LP, Singles und Musikkassetten.

Diesen Sehnsuchtsort gibt es noch – stadteinwärts rechterhand vorm Viadukt, das rote Backsteingebäude an der Florschützstraße. Die Pero AG hat heute ihren Sitz in dem Gemäuer, in denen weitaus mehr Musike drin war, als sich der gemeine Gothaer denken kann.

Denn lange zuvor – schon im 19. Jahrhundert – entstand die „Gothaer Piano-Hofmanu­faktur“, für die dort später eine neue Fabrikation erbaut wurde. Die wiederum kaufte 1905 Ernst Munck. Die Hofmanufaktur wurde dann 1906 zur „Pianofabrik Steck“ und ging 1924 an den namhaften Pianobauer Hupfeld aus Böhlitz-Ehrenberg bei Leipzig über. Der wurde nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet. Und in sein Gothaer Werk zog „Gotha-Druck“ ein – ab 1971 und bis zum bitteren Wende-Ende zum VEB „Ernst Thälmann“ in Saalfeld gehörend.

 

1 Comments

  • Gerd Schlegel (#)
    13.07.2022

    Der VEB Gotha-Druck war doch in der Oststraße. Die alten Good’schen sagten zum Arreal immer „Die Steck“ . Der Komplex an der Florschützstraße, wo heute die Fa. Pero residiert, war als „Automatikus“ bekannt und gehörte bis zum Beginn der Treuhandära zur Gothaer Metallwarenfabrik. Dass der Gotha-Druck dort evtl. einen Ableger gehabt hat könnte natürlich sein.

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