Des Kaisers neue Kleider

Also; um aber auch JEDES Missverständnis gleich im Keim zu ersticken: Die nachfolgenden Zeilen haben keinen Bezug zu den aktuellen Ereignissen in Gothas Rotem Rathaus. Außer, dass sie auch mit eben diesem Rathaus verwoben sind …

Für ein neues Projekt – pssst; noch streng geheim! – standen jüngst junge und jung geblieben Medien-Mädchen und –Burschen beieinander und schmiedeten Pläne wie auch Eisen. Und die sind sogar jetzt noch heiß …

So heiß, wie die Geschichte, die meine erste richtige „Story“ hier in Gotha war: Es war mein zweiter Freitag in Gotha und der 27. Oktober 1990. Da blies Bürgermeister Werner Kukulenz außerplanmäßig zum medialen Sammeln. Den Grund dafür gab ein Mann namens Hans Weselowski. Der war in die damals noch nicht sanierte Amtsstube des Bürgermeisters geschneit und hatte dem einen Scheck über 7,2 Mio. DM auf den Schreibtisch gepackt. Mit besten Grüßen seiner 87-jährigen Frau Mama, die in Gotha geboren, nun in Essen lebe und gern ihrer Heimatstadt was Gutes tun wolle.

Wir alle, die wir Zeugen des großmütigen Gebens aus dem Westen für den armen Osten wurden; wir alle waren gerührt. Und nicht im mindesten von Zweifeln geschüttelt: Schon Ende der 1960er-Jahre habe Weselowskis Mutter diese Schenkung testamentarisch fixiert, stand tags darauf in meiner Meldung. Die schaffte es gar auf Seite 1 der „Thüringer Allgemeinen“ und hatte eine Auflage jenseits der 300.000. Das war dann auch ein Grund, warum die Geschichte vom millionenschweren warmen Regen für Gotha ihre Kreise zog …

Manfred Hennig nämlich las dies zum Frühstück und rief sofort um Hilfe und die Polizei. Dem Arnstädter Hotelier kam nämlich jener Herr Weselowski bekannt vor. Als Hans Werding und Architekt hatte der im September bei Hennig fürstlich logiert; allerdings verabsäumt, die Rechnung zu zahlen.

Alsbald war klar: Weselowski alias Werding war ein bundesweit gesuchter Betrüger, seit März 1990 mit zehn Alias-Namen unterwegs und auf seiner Tour halt eben auch nach Thüringen gekommen. Es waren wilde Zeiten, Zeiten für Goldgräber, Scharlatane und sonstige Sonderlinge.

Nicht zuletzt bezeichnend ist auch, dass trotz großer Anstrengung des Magistrats (so hieß die Stadtverwaltung damals und einer Residenzstadt angemessen!) der Überweisungsauftrag über die 7,2 Mio. DM – ausgestellt von der Deutschen Bank – nicht zu überprüfen war. Und das lag nicht daran, dass es Kukulenz oder seiner Buchhalterin am Smartphone fehlte …

Dafür bekam Gotha binnen drei Tagen zum zweiten Mal Platz auf der Titelseite der TA. Kukulenz nahm die Sache mit seinem eigenen Humor und freute sich schon Ende Oktober auf die Büttenreden der nahenden Karnevalssaison. Was zu erwarten war, trat dann auch ein: Der Magistrat bekam sein Fett weg, die Spottdrosseln weideten sich ausgiebig am Missgeschick des Bürgermeisters. Wobei der materielle Schaden für die Stadt wirklich überschaubar blieb: zwei Kannen Kaffee und ein Becher, den Kukulenz dem angeblichen Gönner schenkte, standen auf der Verlustliste.

Dass Weselowski in Gotha aufflog – übrigens hier auch in U-Haft saß – mutete nicht wie ein Zufall an: Ein Bruder im Geiste hatte nämlich 64 Jahre zuvor für ähnliche Schlagzeilen gesorgt. Sein Name – Harry Domela

Geboren in Lettland, war er nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland gestrandet. Nachdem er in den frühen 1920er-Jahren nur dank allerlei Hilfsjobs überlebte, wollte er den großen Durchbruch: Zunächst legte er sich den Namen „von Liven“ zu. Dabei behalf ihm ein Sprössling aus dem Hause von Hardenberg. Ab Herbst 1926 hielt Domela als „Prinz Liven, Leutnant im 4. Reiterregiment Potsdam“ Hof. Wochen später kam er nach Erfurt als „Baron Korff“, logierte im Hotel Erfurter Hof. Dort hielt man ihn für den Hohenzollern-Prinzen Wilhelm, den ältesten Sohn des ehemaligen deutschen Kronprinzen.

Domela nutzte geschickt den Standesdünkel und die Borniertheit der „feinen Gesellschaft“ Thüringens, ließ sich u. a. in Gotha, Weimar und auf der Creuzburg bei Eisenach aushalten. Als „Königliche Hoheit“ mitbekam, als die er bei Oberbürgermeistern etc. auftrat, dass die Polizei ihm auf die Schliche gekommen war, wollte er sich zur französischen Fremdenlegion absetzen. Er wurde jedoch im Januar 1927 in Köln festgenommen.

Sieben Monate Haft bekam er. Der Gauner schrieb derweil ein Buch – „Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer des Harry Domela“. Das brachte Wieland Herzfelde im linken Malik-Verlag heraus. Mit 120.000 verkauften Exemplaren wurde es ein rechter Erfolg. Selbst Thomas Mann, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky feierten Domela.

1929 eröffnete der damals 24-Jährige in Berlin ein Kino, in dem immer nur der gleiche, „sein“ Film lief: „Der falsche Prinz. 6 Akte mit Harry Domela“. Das war allerdings keine gute Idee: Er machte Pleite.

Dies aber war wiederum nur ein weiteres Kapitel seines illustren Lebens aus kleinen Betrügereien, die ihm durchaus große Momente bescherte.

… und das alles hat tatsächlich rein gar nichts mit aktuellen Ereignissen oder agierenden Personen in Gotha oder sonstwo auf der Welt zu tun …

Quellen: Aschenbrenners und Kukulenzens Kopf, Archivbände der „Thüringer Allgemeinen“ (Ausgabe Gotha), Wikipedia

Seit Dezember 2002 erscheint im “Oscar am Freitag” in der Lokalausgabe Gotha am jeweils letzten Freitag im Monat meine gedruckte Kolumne – “Der Aschenbrenner hat das Wort”; die hier auch anschließend veröffentlicht wird.

5 Comments

  • […] wir in Erinnerungen: An die Räuberpistole mit Hans Weselowski, über die ich schon in meiner Kolumne im “Oscar am Freitag” (September 2012) ausführlich berichtete. Dort wie beim “O-Ton” spielte dann auch […]

  • […] wir in Erinnerungen: An die Räuberpistole mit Hans Weselowski, über die ich schon in meiner Kolumne im “Oscar am Freitag” (September 2012) ausführlich berichtete. Dort wie beim “O-Ton” spielte dann auch […]

  • […] meinem Gotha-Film, würde ich einen machen, gäbe es aber auch Kurioses wie Hans Weselowski. Der kam im Oktober 1990 nach Gotha, packte einen Millionen-Scheck auf Kukulenz’ Schreibtisch. […]

  • […] Erinnerungen: An die Räuberpistole mit Hans Weselowski, über die ich schon in meiner Kolumne im „Oscar am Freitag“ (September 2012) ausführlich berichtete. Dort wie beim „O-Ton“ spielte dann auch […]

  • […] Wir alle, die wir Zeugen des großmütigen Gebens aus dem Westen für den armen Osten wurden; wir alle waren gerührt. Und nicht im mindesten von Zweifeln geschüttelt: Schon Ende der 1960er-Jahre habe Weselowskis Mutter diese Schenkung testamentarisch fixiert, stand tags darauf in meiner Meldung. Die schaffte es gar auf Seite 1 der „Thüringer Allgemeinen“ und hatte eine Auflage jenseits der 300.000. Das war dann auch ein Grund, warum die Geschichte vom millionenschweren warmen Regen für Gotha ihre… […]

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